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Lustnebel

Lustnebel

Titel: Lustnebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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wusste.
    „Spann mich nicht auf die Folter, was gibt es Interessantes?“, verlangte Rowena zu wissen. Ein eisiges Ziehen peinigte sie. Sie merkte, dass sie die Luft angehalten hatte, und atmete ein.
    „Lady Parr hat sich vergiftet“, sagte Betsy sachlich.
    Verwirrt schüttelte Rowena den Kopf. „Kenne ich die Dame?“ Mitleid mit der Frau überkam sie. Welcher Grund trieb die Lady dazu, sich das Leben zu nehmen?
    „Bestimmt seid Ihr ihr bei Almack´s oder einer ähnlichen Veranstaltung begegnet“, meinte Betsy und fingerte an den winzigen Knöpfen herum, die am Ärmel zu schließen waren. „Die arme Lady hinterließ keinen Abschiedsbrief.“ Die Zofe schnalzte mit der Zunge. Sie zupfte den gerüschten Ausschnitt zurecht. „Ihr seht bezaubernd aus. Die orangefarbene Spitze steht Euch hervorragend zu Gesicht.“ Betsy strich Rowena eine vorwitzige Haarsträhne hinter das Ohr.
    Rowena lief in den Salon hinunter, wo Anne den letzten Bissen eines Gebäcks in den Mund schob, das ihr das Hausmädchen serviert hatte.
    Anne stand auf und umarmte sie herzlich.
    „Rowena, Liebes!“ Anne drückte sie fest an sich. „Endlich haben wir Zeit, miteinander zu plaudern. Die Sache mit Claire tut mir so unsagbar leid!,“ sprudelte es aus Annes Mund hervor.
    Rowena zuckte zusammen, als die Frau Claire erwähnte. Ein Schmerz stach in ihr Herz wie kalter Stahl. Die Qual kroch zur Kehle empor und schien sie wie eine eisige Faust zu umschließen, ein altbekanntes Gefühl in diesen Tagen. Sie räusperte sich und entwand sich Annes Umarmung.
    „Danke“, murmelte Rowena. Sie ließ sich auf einer der beiden Bergeren nieder, Mutters ganzer Stolz, da die auch Schäferinnen-Stuhl genannten Sitzmöbel mit den gepolsterten Rückenlehnen und Armstützen nicht nur bequem waren, sondern außerdem eine aufrechte Sitzhaltung forderten. Sie schenkte sich Tee ein, füllte Annes Tasse auf und versenkte zwei Stück Zucker in ihrem Schwarztee. Sie zwang sich zu einem Lächeln. Anne griff über den Tisch und umfasste Rowenas Hand.
    „Es ist in Ordnung, Rowena“, flüsterte sie, und ihre Augen glänzten. „Weine ruhig, wenn dir danach ist.“
    Rowena nickte brüsk und wischte sich unwillig eine Träne aus dem Augenwinkel, die sich jäh über die Wange davonmachen wollte. Ihr schien, als wäre es plötzlich trüber und kälter im Salon geworden.
    „Was … wie ist es geschehen?“, erkundigte sich Anne mitfühlend.
    Rowena schluckte. Zu gerne hätte sie sich jemandem anvertraut. Wahrhaft anvertraut, nicht das Lügengespinst, das sie mittlerweile im Schlaf beherrschte und gleichzeitig ihre Seele vergiftete.
    „Wir waren spazieren. Wir gingen weiter als jemals zuvor, und als wir ermüdeten, beschlossen wir, eine Kutsche zu nehmen.“ Rowena stockte, und Anne tätschelte ihre Hand. Ihre Miene drückte so offensichtlich Anteilnahme aus, dass Rowena all ihre Willenskraft aufwenden musste, nicht zurückzuweichen und die Wahrheit herauszubrüllen. Sie schüttelte sich innerlich und zwang sich zur Konzentration. „Wir waren erschöpft und gerieten aneinander, welcher Weg der Schnellere sei. Also trennten wir uns. Das war das letzte Mal, dass ich Claire gesehen habe.“
    Ungewollt perlten Tränen aus ihren Augenwinkeln. Sie befreite sich aus Annes Griff und tupfte mit einer Serviette die Tränenspuren fort. „Man hat ihre Leiche auf der Straße gefunden. Weggeworfen wie Unrat“, krächzte Rowena. Sie schluckte und zwang die emporschießende Galle hinunter.
    Annes Augen schwammen in Tränen. Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und dämpfte die schniefenden Laute, die über ihre Lippen drangen. Ansonsten war nur das Ticken der großen Louis-Seize-Pendule aus schwarz-weißem Marmor zu vernehmen.
    Rowena ertrug Annes kummervolles Gesicht nicht länger und musterte die Uhr. Die feuergoldenen Applikationen funkelten im Sonnenschein. Die Bronzezeiger wanderten langsam über das weiße Emailleziffernblatt. Rowena biss sich auf die Lippen. Unaufhörlich schoben sich die Zeiger voran. Könnte sie sie doch zurückdrehen. Bis zu dem Moment, an dem sie und Claire jenen unseligen Pakt geschlossen hatten. Wäre sie nur so pflichtbewusst gewesen und hätte Tante Ophelia und Onkel Herbert von Claire Plänen berichtet!
    „Es ist meine Schuld“, bekannte sie.
    „Unsinn“, sagte Anne. „Woher hättest du wissen können, dass Derartiges geschehen würde?“
    „Ich hätte sie nicht allein lassen dürfen“, beharrte Rowena.
    Anne erhob sich, die Stirn

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