Lustnebel
machte Anstalten, sich umzudrehen. Rowena stoppte ihn.
„Auf ein Wort, Chayton.“ Sie berührte seinen Unterarm.
Er wartete stumm auf das, was sie zu sagen hatte. Wild und ungezähmt wirkte er auf Rowena, als er sie musterte, ohne einen Laut von sich zu geben. Ihr Bauch rumorte zum wiederholten Mal an diesem Morgen, und sie fragte sich, ob es vielleicht schlicht und ergreifend ein Zeichen dafür war, dass sie krank wurde. Sie leckte sich nervös über die Lippen. „In Turnbulls Arbeitszimmer, woher kamst du so plötzlich?“, wollte sie wissen.
Er fixierte sie schweigend. „Ich betrat kurz vor den anderen den Raum“, behauptete er.
Rowena blinzelte. „Aber …“
„Mach dir keine Gedanken über diese Sache“, unterbrach er sie.
„Du sagtest, mein Leben sei in Gefahr“, drängte sie weiter. Das ungute Gefühl, das sie den ganzen Morgen nicht verlassen hatte, verstärkte sich. „Wie kommst du darauf?“
„Du hast in Turnbulls Schreibtisch herumgewühlt. Ich sollte dich lieber fragen, was deine Intentionen waren?“ Chaytons Miene versteinerte, und sie merkte, wie er sich innerlich abschottete. Er strahlte kein Fünkchen Wärme mehr aus. Nicht, dass Rowena große Emotionen erwartet hätte, doch Chayton schien ihr ähnlich zugänglich wie eine Marmorskulptur.
Sie seufzte und wandte sich ab.
Ihre Mutter trat zu den beiden. „Mein Kind, wir sollten uns auf den Rückweg begeben. Es gibt einiges zu erledigen vor der Hochzeit.“ Florence Partridge lächelte Chayton an, der eine auffordernde Handbewegung zurück Richtung Kutsche machte.
„Ich muss ein paar vertrauliche Worte mit meiner Verlobten wechseln, Lady Darnley“, verkündete er.
Die beiden Frauen starrten Chayton irritiert an. Sein Ansinnen mutete unverfroren an, dennoch bat Rowena ihre Mutter stumm, ein Gespräch unter vier Augen zuzulassen. Florence kniff die Augen zusammen, nickte jedoch und stieg mit der Unterstützung des Kutschers in die Droschke.
Aus den Augenwinkeln sah Rowena, dass die Mutter sie scharf beobachtete.
Chayton beugte sich vor, sodass sie ihn auch verstand, obwohl er wisperte: „Ich werde die ehelichen Pflichten einfordern, und es wird dir gefallen.“
Rowena fühlte Hitze in ihre Wangen steigen. Chayton legte seinen Finger unter ihr Kinn. Rowena hielt den Atem an, ob aus erwartungsfroher Neugierde oder Schock, vermochte sie nicht zu bestimmen. Chayton betrachtete sie ohne erkennbare Gefühlsregung, dann ließ er sie los und reichte ihr den Arm, um sie zur Kutsche zu bringen. Er half Rowena beim Einsteigen und folgte ihr hinein, um sich ihr gegenüber auf die Polster sinken zu lassen. Er wirkte entspannt, während Rowena kaum wusste, wohin sie blicken sollte vor Scham.
Schweigend kehrten sie in ihr Stadthaus zurück.
Chayton verabschiedete sich standesgemäß und fuhr davon. Rowena blieb stehen und sah ihm hinterher. Erst Florences Zuruf weckte sie aus ihrer Versunkenheit, und sie folgte ihr ins Haus. Sie kannte nicht einmal Chaytons Adresse. Er war ihr fremd, und nun heiratete sie einen Mann, der sie noch vor der Eheschließung darüber in Kenntnis setzte, sie in seinem Bett zu begehren. Ohne scheinbar einen Gedanken daran zu verschwenden, ob sie dazu bereit sein würde.
Der Butler eilte auf sie zu, als das Mädchen ihnen die Hüte und Handschuhe abnahm.
„Lady Darnley, im Salon wartet eine Besucherin für Lady Rowena“, erklärte Paul. Er beugte sich vor und flüsterte mit ihrer Mutter.
Der Butler zog sich zurück, und die Mutter wandte sich an Rowena.
„Anne Belycant besucht dich. Ich gehe recht in der Annahme, dass du sie nur zu gerne empfängst?“ Die Mutter lächelte, als sie Rowenas freudiges Nicken erkannte.
„Ich werde mich ein wenig frisch machen, ehe ich zu Anne in den Salon gehe“, sagte Rowena.
Als sie ihr Zimmer betrat, war von Betsy nichts zu sehen. Sie schlüpfte aus ihrem Kleid und streifte sich mit einigen Mühen ein neues über, als Betsy eintrat.
„Lady Rowena.“ Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Warum klingelt Ihr denn nicht nach mir?“
Sie richtete das Kleid, während Rowena Orangenblütenwasser, das mit Zitronen und Bergamotte versetzt war, aufsprühte.
„Wo warst du?“, wollte Rowena wissen.
„In der Küche“, antwortete Betsy geistesabwesend. „Die Frau des Bäckers kam vorbei.“
Die Bäckersgattin war bekannt dafür, Neuigkeiten schneller zu verbreiten als jede Tageszeitung, und Betsy erzählte Rowena regelmäßig, was die Frau zu berichten
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