Lustnebel
schier bog unter dem Gewicht, trat ein. Er stellte es auf dem kleinen Tisch ab, der zweifelsohne dazu diente, dort zu speisen, und drehte sich zu Rowena um.
„Mylady, seine Lordschaft trug mir auf, Euch eine Mahlzeit zu servieren. Mit den besten Grüßen aus der Küche. Myrtle wusste nicht, was Ihr mögt. So hat sie von allem etwas aufgetan“, erläuterte Cain, ehe er sich verneigte und zurückziehen wollte.
„Auf ein Wort, Cain“, hielt Rowena ihn zurück. „Mein Gemahl, wo kann ich ihn finden?“
Cain blinzelte und wand sich verlegen. „Mylady, ich weiß nicht“, begann er. Seine Finger hoben sich an seine Lippen, und er knabberte an seinen Nägeln.
„Nimm deine Finger aus dem Mund und antworte mir. Oder ist es so schrecklich?“ Rowena schwang ihre Beine aus dem Bett und erhob sich. Cain stand stramm und blickte sie verschreckt an.
„Mylady, es ist so“, nervös bewegte er seine Finger, schien jedoch den Reflex zu unterdrücken, wieder darauf herumzubeißen, „Euer Gemahl ist den barbarischen Sitten und Gebräuchen seiner Heimat verhaftet.“
Rowena nickte langsam. „Und das bedeutet im Einzelnen?“
„Er schläft im Freien wie ein Vagabund“, gestand Cain betreten. „Letzten Sommer baute er eine Laubhöhle, deren Inneres die Nachbildung der Hölle war. Stundenlang verschanzte er sich darin und sang und sprach in fremden Zungen. Worte, die wahrlich nur aus der Hölle stammen können!“
„Du hast doch niemandem von den“, Rowena versuchte eine elegante Umschreibung zu finden, während ihre eigenen Gedanken Amok liefen, „von den exzentrischen Angewohnheiten meines Gatten berichtet?“
Cain straffte sich. „Selbstverständlich nicht, Lady Windermere! Ein guter Butler weiß zu schweigen. Ein hervorragender Butler zu vertuschen. Ich gebe mir größte Mühe, dass niemand die Vorgänge auf Barnard Hall herausfindet“, versicherte er Rowena.
Sie nickte und machte eine Handbewegung, um ihn zu entlassen. Erleichtert zog sich Cain zurück, hielt aber noch einmal inne. „Wenn es mir erlaubt ist, noch etwas zu sagen?“
„Natürlich, Cain“, gestattete Rowena ihm zu sprechen.
„Egal, was Euch über seine Lordschaft zu Ohren kommt: Er ist ein guter Mensch. Vielleicht ein Heide, aber weiß Gott ein besserer Mensch, als es die meisten sind, die sich barmherzige Christen nennen“, beschwor er, und sein missgestaltetes Gesicht schien schiefer als bisher.
Rowena lächelte. „Danke, Cain.“
Sie wartete, bis Cain gegangen war, ehe sie ans Fenster trat. Sie hoffte, einen Blick auf Chayton zu erhaschen, ihn bei seinem Zelt, in dem er unter Garantie schlafen wollte, zu entdecken. Doch enttäuscht erkannte sie, dass er nirgendwo zu sehen war.
Der Geruch verlockender Speisen drang an ihre Nase, und sie wandte sich dem Tisch mit dem bereitstehenden Essen zu. Sie ließ sich auf dem Louis-Seize-Stuhl nieder, strich ihre Röcke glatt und hob die erste Speisehaube hoch. Vorsichtshalber hielt sie die Luft an, aus Furcht, ihre Nase betröge sie und erst die Betrachtung des Tellers brächte das Ausmaß der Verrücktheit Myrtles ans Tageslicht.
Fast erwartete sie Würmer, Essensabfälle oder andere Widerlichkeiten vorzufinden, doch Myrtle schien nicht in diesem Maß gestört zu sein, um ihre Arbeit nicht zu erledigen. Nacheinander lüftete Rowena die Hauben und fand Consommé, kalten Braten, Gemüse und in Butter geschwenkte Kartoffeln, gebratenes Hühnchen und Beilagen, frischgebackenes Brot und eine Platte, auf der verschiedene Desserts angerichtet waren.
Anerkennend musterte Rowena die Vielfalt der Gerichte, ehe sie eine Kostprobe wagte. Es roch nicht nur verführerisch, es schmeckte auch wunderbar. Rowena beschloss spontan, der Köchin ihre beleidigende Art zu vergeben. Die Speisen waren auf den Punkt genau gegart, scharf gewürzt, aber nicht so sehr, dass die Gewürze den Eigengeschmack der Gerichte überdeckten. Rowena aß von allem etwas und legte anschließend satt und zufrieden das Besteck auf das Tablett.
Sie überlegte einen Moment und entschied, das Tablett selbst hinunter in die Küche zu tragen. Im Angesicht der Tatsache, dass nur Cain und Myrtle als Dienstboten im Haus waren, schien es ihr ratsam, diese Kleinigkeit eigenständig in die Hand zu nehmen. Zudem konnte sie nicht nur herausfinden, ob Myrtle vielleicht nur einen schlechten Moment erlebt hatte, als sie Rowena und Chayton begrüßte, sondern ob ihre Verrücktheit sich als dauerhafter Zustand erwies. Zudem schien es ihr nützlich,
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