Lustnebel
bereden. Ist er im Haus?“
Marys Mund schloss und öffnete sich ein paarmal. Sie überlegte sichtlich, was sie tun sollte.
„Seid so gut und lasst mich eintreten. Ich bin sicher, dass Reverend Cummins mit mir reden wird.“ Ohne auf Mrs. Stonecrafts Zustimmung zu warten, drückte sie sich an der Älteren vorbei in einen kleinen, heimeligen Flur. Es roch nach frisch gebackenem Brot, und aus einem Raum weiter hinten rief eine männliche Stimme: „Mary, wer war das eben?“
Zielstrebig steuerte Rowena den Raum an und betrat das Arbeitszimmer. Der Schreibtisch war verlassen, dafür saß in einem gemütlichen Ohrensessel ein grauhaariger Herr mit Zwicker. Auf seinem Schoß lag ein Buch, und auf dem kleinen Beistelltischchen standen ein Cognacglas und ein Tellerchen, auf dem ein Keks lag. Er starrte sie verwirrt an und erhob sich, das Buch auf dem Tisch ablegend.
„Miss?“
„Ihr müsst Reverend Cummins sein. Ich bin Rowena Bannister, Marchioness of Windermere. Eure Haushälterin ließ mich ein“, flötete Rowena und fühlte die aufgebrachten Blicke der Hausdame in ihrem Rücken.
Der Reverend begrüßte Rowena automatisch und deutete auf einen Stuhl an seinem Schreibtisch.
„Was führt Euch zu mir, Lady Windermere?“ Er nickte Mary zu, ehe er sich wieder an Rowena wandte. „Kann ich Euch etwas anbieten?“
Sie verneinte. „Sicher ist Euch bekannt, in welch jämmerlichem Zustand sich Barnard Hall befindet“, begann sie.
Reverend Cummins bejahte und rutschte unruhig auf dem Stuhl hinter seinem Arbeitstisch hin und her. In Rowena keimte der Verdacht, es würde nicht so einfach werden, wie sie erwartet hatte. Sie räusperte sich und setzte sich aufrecht.
„Ich benötige Arbeitskräfte, um das Haus und den Park auf Vordermann zu bringen.“
„Nun, ich weiß, was Ihr von mir wollt. Ich soll Euch Leute empfehlen und nach Barnard Hall senden“, unterbrach der Geistliche sie mit sanfter Stimme. Er faltete seine Hände und legte sie auf den Schreibtisch. „Hier im Dorf werdet Ihr niemanden finden, der kommen würde. Ganz gleich, wie viel Geld Ihr den Leuten anbietet.“
„Weshalb? Gibt es ein Problem?“ Rowenas Herz schlug fast schmerzhaft gegen den Brustkorb.
Cummins blinzelte nervös, wie Rowena meinte, doch er beantwortete ihre Frage mit fester Stimme: „Euer Gemahl ist ein Heide und zu allem Übel kein Engländer. Wenn er die Sonntagsmesse regelmäßig besuchte, ja, dann könnte ich ein gutes Wort für ihn einlegen. Doch so, wie die Dinge geartet sind, kann ich Euch nur viel Glück bei Eurem Vorhaben wünschen.“
Rowena sprang auf. „Ihr wollt mir allen Ernstes begreiflich machen, dass die Herkunft meines Gatten ein Grund für Eure Weigerung ist, uns zu helfen?“
Der Reverend machte beschwichtigende Gesten. „Ich kann meine Schäfchen nicht guten Gewissens nach Barnard Hall schicken.“
„Natürlich“, entgegnete Rowena eisig. „Unser Geld würdet Ihr dankend annehmen, doch uns zu helfen übersteigt die christliche Barmherzigkeit.“
„Mylady, Ihr missversteht mich. Selbst wenn ich Euch Arbeiter schicken würde, es käme niemand. Die Dorfleute halten Lord Windermere für einen Dämon.“
Ein Kloß schien plötzlich wie Blei in ihrem Magen zu liegen. „Ein Dämon? Lord Windermere? Wie um Himmels willen verfallen aufgeklärte Menschen auf solch abstruse Ideen?“
Reverend Cummins erhob sich, um auf Augenhöhe mit Rowena zu sein. „Es sind einfache Leute, Bauern, Arbeiter. Ihr kennt diese Art Menschen: leicht zu beeinflussen und abergläubisch. Euer Gemahl lebt noch nicht lange auf Barnard Hall, ist obendrein ein heidnischer Wilder. Die Leute beäugen ihn mit Misstrauen, obwohl seine Ankunft glückbringend scheint. Kurzum, sie warten nur darauf, dass er sich etwas zuschulden kommen lässt.“
„Welch ein Humbug!“, stritt Rowena dieses Gerücht ab, während ihr Innerstes zu beben begann, als sie sich an letzte Nacht erinnerte. An den halb nackten, singenden und betenden Chayton. „Ihr glaubt dieses Geschwätz doch nicht etwa, Reverend Cummins?“
Der Mann hob die Schultern. „Ich weiß nur, dass es in ganz Blawith Tower keinen geben wird, der sich nach Barnard Hall wagen wird.“
Rowena konnte kaum zuhören, zu sehr tobten die verschiedensten Gedanken und Empfindungen durch ihren Körper.
Die Bilder der vorangegangenen Nacht standen ihr deutlich vor Augen. Als Chayton nicht nur ausgesehen hatte wie ein Wilder, sondern offenkundig heidnische Rituale praktiziert hatte. Ein
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