Lustnebel
eine kurze Bestandsaufnahme des Hauses vorzunehmen, um zielgerichtet vorgehen zu können, wenn sie das Anwesen wohnlich machen wollte.
Rowena betrat die Küche.
Myrtle, die Köchin, war nirgendwo zu sehen. Rowena stellte das Tablett auf den Tisch aus blank poliertem Holz in der Farbe dunklen Honigs. Der Steinboden blitzte dermaßen, dass sich die Kupfertöpfe darin spiegelten. Sie hingen sorgsam an einem Rondell neben dem Herd und funkelten mit dem Boden um die Wette. Über der Arbeitsplatte reihten sich Schneebesen, Schöpflöffel und Kochlöffel an Haken. Eine große Schüssel stand auf der Platte, und unter dem Tuch wölbte sich etwas. Als Rowena das Geschirrtuch hob, stieg ihr ein säuerlicher Geruch in die Nase.
Brotteig, erkannte sie. Ein Knurren ließ sie zurückschrecken. Neben ihr tauchte Myrtle auf. Sie riss die Schüssel an sich, als gälte es, ihr Kind zu beschützen.
„Meine Küche, mein Bereich. Ihr habt hier nichts verloren!“, schimpfte sie.
Rowena wich zurück. „Ich wollte nur das Tablett zurückbringen und dir mein Kompliment aussprechen“, erwiderte sie und versuchte, ruhig und freundlich zu klingen.
„Habt Ihr getan. Raus“, brummte Myrtle und beugte sich über die Schüssel. Ihre Lippen bewegten sich, und es wirkte, als redete sie beruhigend auf den Teig ein. Sie blickte hoch und starrte Rowena zornig an, worauf diese die Flucht ergriff.
In der Eingangshalle überlegte sie, wohin sie sich wenden sollte, und begann mit ihrer Besichtigung im Westflügel des Erdgeschosses.
Sie öffnete das kunstvoll geschnitzte weiße Portal und trat in einen Ballsaal. Gedrehte Säulen bildeten rundherum eine Galerie, zwischen zwei Säulen standen riesige Palmen, die Sichtschutz und Dekoration zugleich waren. Fußspuren im Staub und die üppig grünen Wedel bewiesen, dass sich irgendjemand um das Wohlergehen der Pflanzen kümmerte. Rowena raffte ihre Röcke und trat in die Mitte des Raumes. Staub wirbelte auf und brachte sie zum Niesen. Unter ihren Füßen lag er so dick, als schlenderte sie über Teppich. Kopfschüttelnd blieb sie stehen und sah sich um. Die Decke zierte die Nachbildung des nächtlichen Himmelsgewölbes. Die Sterne glitzerten in Goldfarbe, während der Vollmond silbern über Rowena prangte. Die Kristallleuchter klebten grau und stumpf an den Wänden und harmonierten auf traurige Weise mit den blinden Terrassenfenstern. Energisch riss sie einen Fensterflügel nach dem anderen auf, was zur Folge hatte, dass ein Windstoß das Portal zuschlagen ließ und der Staub aufgepeitscht wurde. Das Zischen und Heulen des Windes jagte ihr Schauer über den Rücken. Die Abdeckungen auf den Chaiselonguen flatterten in der Zugluft, und einen Moment wirkten Staubwolken und die wehenden Laken wie der groteske Tanz von Geisterwesen.
Ohne es zu wollen, zitterte Rowena ängstlich. Eben noch hatte eine bedrückte, aber friedliche Aura über dem Ballsaal gelesen, doch nun, mit einem Mal, schienen dämonische Kräfte Einzug zu halten.
Ihr war, als wisperte und gurgelte etwas in der Dämmerung. Etwas Unheimliches, das sie verschlänge, bekäme es Rowena zu fassen. Ihr Herz raste in düsteren Vorahnungen, und plötzlich wuchs aus dem Nichts eine Schattengestalt aus dem Boden der Terrasse. Schwarzes Haar peitschte im Sturm, und die Gestalt, die nun deutlich größer als Rowena geworden war, verharrte. Ein Donnern und Grollen in der Ferne verstärkte den gespenstischen Eindruck. Wie aus dem Nichts erhellte ein Blitz die Umgebung mit grellweißem Licht und enthüllte die Identität des Unbekannten.
„Chayton!“ Erleichtert kam sie ihm entgegen, hielt jedoch inne, als sie seine zornige Miene erkannte. Er eilte zu den Fenstern und verriegelte sie.
Er drehte sich zu Rowena. „Was sollte das? Es zieht ein Sturm auf und du reißt alle Fenster auf? Warum setzt du das Anwesen nicht gleich in Brand? Das Gebäude besteht aus reichlich Holz, bestimmt geht es lichterloh in Flammen auf“, zürnte er.
Rowena verschränkte die Arme vor der Brust. „Du übertreibst“, entgegnete sie beschwichtigend. „Das ist nur ein kleines Unwetter. Kaum der Rede wert, in ein paar Minuten ist es über unsere Köpfe hinweggezogen und vergessen.“
Chayton funkelte sie aufgebracht an, stiefelte aber wortlos an ihr vorbei nach draußen. Rowena folgte ihm seufzend. „Chayton?“
Er blieb stehen und sah sie an.
„Ich möchte Leute aus dem Dorf anheuern, um das Haus auf Vordermann zu bringen. Und die fleißigsten würde ich als
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