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Lustschreie

Lustschreie

Titel: Lustschreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Rueckert
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Haut. Die Gänsehaut wollte nicht weichen. Sie liebte und sie fürchtete ihn. Es hatte alles angefangen mit einem unsäglichen Tag im September vor einem Jahr.
     
Jon war einem Frauenmörder auf der Spur gewesen, der seine Opfer zunächst in einem Hotelzimmer verführte und sie dann nach dem – offensichtlich ermüdenden Akt – im Schlaf erdrosselte. Die drei Frauen, die damals in zweiwöchigem Abstand gefunden worden waren, hatten, abgesehen von den Würgemalen, keinerlei Anzeichen für Gewaltanwendung an ihren Körpern. Sie hatten sich anscheinend, ohne es zu wissen, freiwillig ihrem Mörder hingegeben.
     
Jon Hinrichs, im Morddezernat für seine intuitiven Ermittlungen und oftmals regelwidrigen Alleingänge bekannt, hatte die Methode entschlüsselt, nach der sich der Täter lange im Voraus ein Hotelzimmer reservieren ließ. Es war ein Zahlencode, der sich aus den Telefonnummern des Hotels ergab. Die erste Quersumme daraus verwies auf die entsprechende Seite des örtlichen Telefonbuchs, und die Zimmernummer entsprach dem soundsovielten Eintrag auf der jeweiligen Seite. Unter diesem Namen, egal, ob er einer Frau oder einem Mann gehörte, reservierte er das Zimmer.
     
Drei Morde mussten geschehen, bis Hinrichs das Prinzip verstanden hatte. Den vierten wollte er verhindern und den Mörder überführen. Er war sich seines Sieges gewiss gewesen, doch dann hatte er die unwiderrufliche Dummheit begangen, den Portier persönlich nach einer gewissen Hildegard Wieferich, 26. Name auf Seite 328, zu fragen. Obwohl er so leise wie möglich gesprochen hatte, musste der Mörder, im Foyer bereits anwesend, ihn gehört haben.
     
Der Zimmerschlüssel wurde nie abgeholt, und es kam auch kein vermeintliches Opfer, das nach Frau Wieferich fragte.
     
Der Fall wurde nie gelöst. Es passierten auch keine weiteren Morde, die in das Schema passten. Was blieb, waren Jons Versagen und die unbändige Wut, die sein Gewissen marterte, seit er nach seinem Alleingang in den Innendienst versetzt worden war. Er vergrub sich in seine innere Einsamkeit und versperrte jedem den Zutritt zu seinen Gefühlen.
     
Als er Anna das erste Mal an einen Bettpfosten fesselte, hielt sie es für eine neue erotische Variante, die sie bisher noch nicht an ihrem Jon kennen gelernt hatte. Nachdem sie dann aber eine Viertelstunde später mit schmerzenden Lenden und selbst unbefriedigt neben ihrem Mann gelegen hatte, kroch ein leises Unbehagen in ihre Eingeweide. In ihrem Lebensgefährten wütete ein dunkles, gefährliches Tier, das sie nicht zu bändigen vermochte. Sie ließ ihn gewähren, fügte sich in seine wiederkehrenden Anfälle und wartete auf die Zeit danach, in der er entspannter war und den aufmerksamen Liebhaber erahnen ließ, den sie voller Überzeugung geheiratet hatte.
     
«Jon, sprich mit mir! Was ist vorgefallen?» Sein markantes, ebenmäßiges Gesicht ruhte neben ihr. Die klaren, fast stechend blauen Augen blickten ins Nichts. Er wandte sich ihr zu, ein Lächeln auf den vollen Lippen. «Es hat einen neuen Hinweis gegeben. Der Kellner eines Strip-Lokals hat beim Abräumen eine Serviette gefunden, voll geschrieben mit Zahlenkolonnen und Berechnungen. Der Typ hat gedacht, er hätte eine wertvolle Formel gefunden, und ist damit zu ‘nem Journalisten gerannt. Na ja, und nun liegt das Ding auf meinem Schreibtisch. Ich bin sicher, es ist von ihm. Er bereitet etwas vor. Aber diesmal …»
     
Sie wusste, er würde nicht aufgeben. Er war besessen von diesem Fall. Hinrichs stand vor dem Lokal, dessen grelle Leuchtschrift alles versprach. Es sah von außen schäbig aus. Umso mehr überraschte ihn das elegante Foyer mit der gut gefüllten Garderobe. Eine langbeinige Brünette im hautengen Abendkleid, das sich über ihren schneeweißen Schenkeln öffnete, nahm ihm lächelnd den Mantel ab und geleitete ihn wortlos in einen barocken Theatersaal, der hinter schweren Samtvorhängen verborgen lag. Sein geschulter Blick entdeckte in jeder Nische stämmige Männer, deren Bereitschaft zum Zupacken nicht von den maßgeschneiderten Anzügen verdeckt wurde.
     
Die immer noch lächelnde Dame an seiner Seite führte ihn zu einem freien Tisch in der Mitte des Zuschauerraums. Die üppig verzierten Logen des alten Theaters waren erhalten geblieben, aber im Innenraum standen bequeme Fauteuils in diskretem Abstand um flache Tische herum gruppiert. Elegante Männer und Frauen in Abendgarderobe plauderten, lachten und verstummten, als die ohnehin dezente Deckenbeleuchtung

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