Lustvolles Erwachen
dem Sikh auf dem Dach an der Balustrade einen Blick zu. »Wann wolltest du mir von alldem hier erzählen?«, fragte er. »Oder hattest du vor, es geheim zu halten?«
Sie sah ihn eindringlich an. »Ich weiß nicht. Wolltest du deine Geheimnisse für dich behalten?«
Entschlossen erwiderte er ihren Blick. »Komm zurück nach London, und ich werde dir meine erzählen. Jedes einzelne.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass ich es besonders gut vertrage, in eine Ecke gestellt zu werden, damit ich niemanden belästige.«
Er machte den Mund auf, um zu widersprechen, als ihm klar wurde, dass Drake ihn genau darum gebeten hatte. »Grace«, sagte er, und der Schmerz schnürte ihm die Kehle zu, »deine Geheimnisse betreffen deine Freunde. Meine betreffen Großbritannien.«
Diccan sah, wie der letzte Rest an Wärme aus ihren Augen schwand. »Ich verstehe. Du schläfst zum Wohle Englands mit einer Französin. Oder hast du mit mir fürs Vaterland geschlafen?«
Wieder hatte sie sich unter seiner Deckung hindurchgeschlichen. Dieses Mal traf sie ihn schwer. »Ich werde nicht darüber diskutieren, Grace«, sagte er und wünschte sich insgeheim, er könnte ihr alles erklären.
»Jedenfalls bestimmt nicht zu meiner Zufriedenheit. Fahr zurück, Diccan. Ich werde dich nicht behelligen. Ich werde nicht einmal mehr mit meinem Onkel sprechen. Du bist außer Gefahr.«
»Das reicht nicht.«
Sie wirkte müde. »Ich fürchte, das muss reichen. Ich kann so nicht weiterleben. Und sei ehrlich: Du brauchst mich nicht.«
Er sprach es aus, ehe der Gedanke ihm bewusst war. Bevor er darüber nachdenken konnte, wie gefährlich diese Worte waren. »Wenn ich dich aber will?«
Er hatte nicht gewusst, wie trostlos ein Lachen klingen konnte. »Du bist nett, Diccan, doch wir wissen es beide besser. Bitte, lass mir einen Rest Würde.«
»Streite nicht mit mir, Grace.«
»Ich streite nicht, Diccan. Ich werde einfach nicht nach London zurückkommen.«
Er ertappte sich dabei, wie er sich über die Stirn strich, um die verfluchten Kopfschmerzen zu lindern. Mit einem Mal kam ihm eine Idee. »Wenn du es schon nicht für mich tust, dann tu es für Kate.«
Sie erstarrte. »Kate? Was hat sie damit zu tun?«
»Ihre Familie lässt sie wieder beschatten. Sie haben das Gerücht gehört, dass sie sich als Aphrodite malen lässt, die aus dem Meer steigt.«
Er bemerkte, dass Grace ein Stück weit in sich zusammensank. »Nackt, nehme ich an.« Seufzend schüttelte sie den Kopf. »Die liebe Kate. Sie macht keine halben Sachen, oder?«
»Sie werden sie schneller nach Moorhaven Castle zurückholen, als du schießen kannst. Und wenn sie sie erst dort haben, werden sie sie nie wieder gehen lassen. Sie werden nicht zögern, sie einzusperren, um einen möglichen Skandal zu verhindern.«
Grace blickte ihn an. »Können sie wirklich eine Duchess entführen?«
»Ja. Und wenn du denkst, sie kann die Familie ihres Mannes um Hilfe bitten, hast du dich getäuscht. Bea ist die Einzige von ihnen, die ihr ein Seil zuwerfen würde, wenn sie ertrinken würde. Der alleinige Grund, warum sie sie noch nicht angreifen konnten, ist, dass sie sich noch nie wirklich unanständig benommen und gegen die Regeln verstoßen hat. Ein Nacktbild könnte das allerdings ändern.«
Eine ganze Weile hörte Diccan nur Vogelgezwitscher, Kuhglocken, die in der Ferne bimmelten, und gedämpfte Schritte auf dem Dach. Smythe wartete im Gasthaus auf ihn und würde vielleicht endlich genug verraten, um den Anschlag auf Wellingtons Leben verhindern zu können – und doch schien Diccan sich nur auf Grace konzentrieren zu können.
»Sagst du mir die Wahrheit?«, fragte sie schließlich. »Bei deiner Ehre?«
Nun, zumindest das konnte er reinen Gewissens bestätigen. »Bei meiner Ehre. Ich bin im Royal Pavilion in Brighton dem Duke und der Duchess von Livingston in die Arme gelaufen.«
Grace zuckte zusammen. »Eine niederträchtige Frau.«
»Bitte, Grace. Kate braucht dich. Bring sie dazu, das Bild zu verbrennen oder sich wenigstens in Kleidung malen zu lassen. Du bist eine der wenigen Personen, auf die sie hört.«
»Wir sollen eigentlich zu Olivias Hochzeit fahren«, sagte sie.
»Ich werde versuchen nachzukommen.«
Einen Moment lang blickte sie zu den Bäumen, als suchte sie Unterstützung. Irgendwann zuckte sie jedoch mit den Schultern und seufzte. »Natürlich. Jetzt reite zurück zu deinen Freunden. Ich muss Vorbereitungen treffen.«
»Danke, Grace.«
Sie
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