Lustvolles Erwachen
besser.« Doch je länger er in diesem stinkenden Zimmer war, desto weniger glaubte er daran, dass es tatsächlich passieren würde. Und wenn es nicht passieren würde, wusste er nicht, wie er weiterleben sollte.
»Bitte, Grace«, flüsterte er in ihr zerzaustes, feuchtes Haar und versuchte, sie mit Leben, mit Hoffnung zu füllen, »verlass mich nicht.«
Aber sie reagierte nicht.
Kapitel 20
Grace wusste, dass sie krank war. Sie glaubte, sterben zu müssen – und es war ihr egal. Sie hatte einfach nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Sie wollte sich nur ausruhen, wollte sich vor dem Schmerz, der Trauer und der Mühe verschließen, die auf sie warteten. Sie wollte nicht mehr hoffen.
Es gelang ihr beinahe. Sie hatte das dumpfe Gefühl, dass sie noch mehr Träume schuf, um sich selbst den Übergang leichter zu machen. Träume von warmen Armen, die sie umfingen, von Stimmen, die zu ihr sprachen, und von einer besonderen Stimme. Diccans Stimme, die sie zurückrief, die sie ermahnte, es zu versuchen. Und dann, tief in der Dunkelheit, als es sie eine unglaubliche Kraft kostete, ihr Herz dazu zu bringen, überhaupt weiterzuschlagen, war sie sich sicher, ihren Vater zu hören.
»Was für eine Fairchild bist du?«, bellte er, wie er es getan hätte, wenn sie sich vor einer schwierigen Aufgabe hätte drücken wollen. »Fairchilds geben niemals auf.«
Diese Fairchild tut das schon , dachte sie und war traurig darüber, ihn enttäuschen zu müssen.
Doch da war noch etwas. Irgendetwas ließ ihr keine Ruhe. Etwas, das sie nicht vergessen sollte. Etwas, das sie Diccan sagen musste, um ihn zu warnen. Irgendetwas …
Diccan lag wieder neben Grace im Bett. Die Sonne war längst untergegangen. Einzig das Kaminfeuer erhellte das Zimmer mit flackerndem Licht. Er war so müde. Ihm war kalt. Er versuchte, den letzten Rest Hoffnung festzuhalten.
»Diccan … Diccan?«
Er fühlte sich, als wären seine Augen voller Sand und als hätte er Blei in den Armen. »Was?«
»Da gibt es etwas …«
In dem Moment wurde es ihm bewusst: Diese schwache, heisere Stimme gehörte Grace. Er richtete sich abrupt auf. »Gracie?«
Sie sah fürchterlich aus. Selbst im schwachen Licht der Kerze war sie wachsweiß mit tiefen Schatten unter den Augen und vollkommen zerzaustem Haar. Er nahm an, dass sie allein in den vergangenen zwei Tagen an die zehn Pfund Gewicht verloren hatte. Und trotzdem konnte er sich nicht daran erinnern, je etwas Schöneres gesehen zu haben.
»Grace«, sagte er und legte seine Hand an ihre Wange, »wie fühlst du dich?«
Sie leckte sich über die trockenen Lippen und sah sich um, als wäre sie überrascht, sich im Bett wiederzufinden. »Habe ich Malaria?«
Er hasste es, ihr die Wahrheit zu sagen. Er nahm ein Glas Wasser und hob behutsam ihren Kopf an, um ihr etwas davon einzuflößen. »Hast du es schon vergessen? Jemand hat versucht, dich zu vergiften.«
Das kleine Leuchten in ihren Augen wurde schwächer. »Oh. Ja.«
»Grace.« Er stellte das Glas ab und schloss sie in die Arme. »Du wirst jetzt nicht aufgeben. Versprich mir, dass du nicht aufgeben wirst. Ich muss dir noch so viel sagen.«
Ihr Blick verschleierte sich, und er bemerkte, wie ihre Kraft nachließ. »Was für eine Fairchild wäre ich dann?«, fragte sie.
Als sie dieses Mal einschlief, spürte er etwas anderes – es war ein Gefühl der Ruhe und des Friedens in ihr, das vorher nicht da gewesen war, so als hätte sie eine Entscheidung getroffen.
»Du solltest dich lieber nicht so einfach aus dem Staub machen«, ermahnte er sie und zog sie an sich, damit er ihrem Herzschlag lauschen konnte und damit er seine Wärme, seinen Wunsch, sein Verlangen teilen konnte. Damit er ihr alles geben konnte, wenn sie es zuließ. Ihm war nicht bewusst, dass seine Tränen ihre Haare benetzten, als er sie umarmte.
Offenbar war er eingeschlafen, denn das Nächste, was er wahrnahm, war, dass jemand ihm auf die Schulter tippte.
»Diccan?«
Er zuckte zurück und erblickte Kate, die sich über ihn beugte. »Ihr geht es besser«, sagte er und betrachtete Grace. Sie schlief noch immer, aber er hätte schwören können, dass sie eine gesündere Gesichtsfarbe hatte. Er musste es glauben.
»Gut«, erwiderte Kate, »dann kannst du dich schnell frisch machen und nach unten kommen. Biddle wartet unten auf dich.«
Vorsichtig löste er sich von Grace, stand auf und reckte sich. In dem Moment bemerkte er, dass die Sonne schon aufgegangen war. Warm schien sie auf die hellgelben
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