Lustvolles Erwachen
antwortete. »Ich fürchte, darüber kann er nicht reden.«
»Weil wir alle ja so überaus freigebig mit unseren Informationen umgegangen sind«, knurrte Olivia. »Selbst nachdem wir angegriffen, bedroht und ruiniert wurden.«
Grace seufzte und spürte, wie ihre Kraft nachließ. »Wir kennen das Wesentliche über die Löwen und wollen wissen, wie die Gefahren für uns aussehen. Und für euch. Wir wollen wissen, ob wir irgendwie helfen können.«
»Nein«, sagten die Männer wie aus einem Mund.
Kate schüttelte den Kopf und wies auf die Flasche. »Ihr vergesst, dass wir schon geholfen haben. Ich nehme an, dass du etwas von Evenham erfahren hast, Diccan. Wenn die Löwen das herausfanden, warum haben sie dann nicht versucht, dich zu töten – so wie sie es auch bei Jack versuchten? Warum dieses ganze Theater?«
Wieder wurden Blicke getauscht. Ein Moment des Unbehagens entstand. »Wir wissen es nicht«, gab Marcus zu. »Es scheint tatsächlich … unpraktisch zu sein.«
»Nicht ganz«, entgegnete Diccan und fuhr abwesend mit den Daumen über das Porträt seiner Geliebten. »Nicht, wenn sie noch eine Aufgabe für mich finden, die meinem Ruf noch weiter schadet.«
Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Grace fühlte, wie ihr Herz stockte. »Was für eine Aufgabe?«
Diccan nahm sich einen Moment, um ihren Blick zu erwidern, ehe er sich Jack Wyndham zuwandte. »Zum einen soll ich Smythe über Jacks Erinnerungen berichten. Ich bin mir sicher, dass sie Angst haben, dir könnten weitere Namen einfallen. Und des Weiteren …« Er blickte mit einem ungewöhnlich trockenen Lächeln auf. »Ich glaube, sie wollen mich dazu zwingen, Wellington umzubringen.«
Grace ertappte sich dabei, dass sie ihn anstarrte. »Die Löwen? Was hast du getan?«
»Nur das, was du gesagt hast«, erwiderte er, ohne sie anzusehen. »Ich habe für die Krone mit der Französin geschlafen.«
»Diccan«, ermahnte Jack ihn.
»Endlich«, murmelte Kate, »ein Stückchen Wahrheit.«
Diccan sah wieder auf die Flasche. »Evenham hat mir gesagt, dass die Löwen mit allen Mitteln versuchen würden, mich anzuwerben. In Whitehall war man der Meinung, ich könnte einigen Verdächtigen näherkommen, wenn ich meine Affäre mit Minette wiederaufnehmen würde. Es schien wunderbar zu funktionieren. Sie glauben, ich hätte für andere Regierungen spioniert und wäre leicht zu beeinflussen. Ich war der perfekte Sündenbock.« Er blickte Grace eindringlich an. »Eigentlich hätte nie Gefahr für dich bestehen sollen. Ich hätte dir niemals so wehgetan, wenn ich nicht der Überzeugung gewesen wäre, dass du damit aus der Schusslinie und in Sicherheit bist. Es tut mir unendlich leid.«
Grace hörte den Schmerz in seiner Stimme und verstand mit einem Mal, was jeder niederträchtige Angriff, jedes scheinbar grausame Verhalten ihn gekostet hatte. Es erschütterte sie, wie sehr diese Einsicht sie traf, wie sehr sie für ihn litt.
»Ich verzeihe dir«, sagte sie sanft.
Sie war noch tiefer getroffen, als sie die Tränen in seinen Augen bemerkte. O Diccan.
»Was können wir tun?«, fragte Kate und riss Grace aus ihren Grübeleien.
»Ihr könnt euch zurückhalten«, erwiderte Harry Lidge. »Es ist zu gefährlich.«
»Tatsächlich?«, entgegnete Kate mit einem vielsagenden Blick. »Wer hätte das gedacht?«
»Nein, nein«, wandte Chuffy ein, »schlimmer als ein flaues Gefühl im Magen. Messer.«
»Chuff …«
Doch Chuffy schüttelte den Kopf. »Sie sollen es, verdammt noch mal, wissen. Da draußen läuft ein Kerl herum, der Menschen Shakespeare-Zitate in die Stirn ritzt. Tja, einen von uns hat er noch nicht erwischt. Für gewöhnlich ist er hinter Frauen her. Wie zum Beispiel hinter Lady Gracechurch.«
Olivia wurde kreidebleich. »Der Chirurg?«, fragte sie fassungslos. »Was ist mit ihm?«
»Zitate?«, fragte Grace. Plötzlich war ihr wieder übel. »Wovon sprecht ihr?«
Niemand hörte sie. Sie hatten ihre Aufmerksamkeit Jack zugewandt, der sich neben Olivia gekniet hatte und ihre Hände hielt. »Es tut mir so leid, Liv«, sagte er. »Der Chirurg ist entkommen, und niemand weiß, wo er derzeit steckt. Aber wir haben für deine Sicherheit gesorgt. Ich schwöre es.«
Der Chirurg. Oh, mein Gott. Mein Gott. Das kann nicht ihr Ernst sein, dachte Grace.
»Der Chirurg ist auf freiem Fuß?«, fragte sie und wusste, dass ihre Stimme schrill klang. »Hast du das gewusst, Olivia?«
Die Totenblässe in Olivias Gesicht zeigte ihr, dass sie es nicht gewusst hatte. Die Narbe,
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