Lustvolles Erwachen
Brust, als könnte sie sich dadurch schützen. »Wie gut kann der Ruf eines Mannes sein, der schon vier Duelle ausgetragen hat?«, wollte sie wissen.
Kate lächelte traurig. »Sicherlich besser als der Ruf eines Mannes, der den Namen einer unschuldigen Frau zerstört hat.« Kurz glitt ihr Blick auf das rote Bündel, das Grace an sich gepresst hatte. »Du hast jedes Recht, Diccan den Laufpass zu geben«, sagte sie sanft. »Er war unfreundlich und ungehobelt. Doch denk über Folgendes nach, Grace: Jemand hat dafür gesorgt, dass er mit einer der ehrenhaftesten jungen Damen Britanniens in einer kompromittierenden Situation erwischt wurde. Glaubst du wirklich, dass Diccans Feinde die feine Gesellschaft in dem Glauben lassen, dass du es warst, die Nein zu dieser Ehe gesagt hat?«
Selbstverständlich nicht. Wer würde glauben, dass eine unscheinbare, langweilige Frau sich davor scheuen würde, »die Perfektion« zu heiraten? In Diccans Kreisen gewiss niemand. »Ich werde gern eine Anzeige in der Times schalten, in der ich verkünde, dass er mich gefragt hat und dass ich abgelehnt habe.«
»Das wäre zu spät. Dann hätte Letitia Thornton ihr Gift längst versprüht. Euer beider Ruf wäre zerstört. Den Gedanken, dass du leiden musst, kann ich kaum ertragen.«
»Also soll ich mich der hinterhältigen Meute von Schakalen opfern, damit sie mir den Rest des Lebens zur Hölle machen? Ich habe nichts verbrochen, Kate. Ich sollte nicht dafür büßen müssen.«
»Nein, das solltest du nicht. Und trotzdem kennst du die Welt genauso gut wie ich. Jemand hat dafür gesorgt, dass du – eine angesehene unverheiratete Frau – an Diccans Seite warst.«
Grace hätte beinahe höhnisch gelächelt. »Du weißt sehr genau, dass ich nicht für meine Arbeit bei den Verwundeten ausgewählt wurde. Ich wurde wegen meines Aussehens ausgewählt. Wegen meines Beines. Wer auch immer Diccan schaden wollte, hat dafür gesorgt, dass er mit der letzten Frau auf Erden, die er hätte heiraten wollen oder sollen, in flagranti erwischt worden ist. Wenn ich seinen Antrag angenommen hätte, hätte ihn das nur noch mehr gedemütigt. Ich kann das nicht tun, Kate.«
Grace hatte Kate während grauenvoller Zeiten erlebt. Sie hatte sie nie so voller Bedauern gesehen. »Du kannst dir nicht vorstellen, verheiratet zu sein? Ich glaube, es würde nicht lange dauern, bis du dein Leben so leben könntest, wie du es dir vorgestellt hast. Du musst nur lange genug warten, um eure Namen zu schützen.«
Grace lachte und war überrascht, wie bitter es klang. »Ich habe mein ganzes Leben lang darauf gewartet, mein Leben endlich so führen zu können, wie ich es will«, entgegnete sie und ließ ihre Uniformjacke in den Koffer fallen. »Jeder Militärposten, jede Schlacht, jeder Einfall der Regierung und der Armee und des Generals hat mich weiter von dem Leben entfernt, das ich mir wünsche. Aber ich bin immer mitgegangen, weil ich wusste, dass sie mich brauchen. Na ja, Kate, jetzt braucht mich niemand mehr. Ich will es auch nicht mehr. Ich möchte nach Hause auf mein Stück Land und Pferde züchten. Allein. Ich möchte endlich die Grace Fairchild werden, von der ich immer geträumt habe.«
Grace war es klar, dass Kate das nicht verstehen würde, denn sie wusste nicht, was es war, das Grace so lange versteckt hatte. Was sie so lange schon hervorholen wollte. Und sie war beinahe so weit. Sie war beinahe am Ziel!
Kate sah sie mit fast greifbarem Bedauern an. »Und diese Verhandlungen, von denen Diccan gesprochen hat und in denen es um das Nachkriegseuropa geht? Was ist, wenn seine Schande diese Verhandlungen gefährdet?«
Grace spürte, wie die Schlinge sich enger um ihren Hals zog.
»Wenn es einen anderen Weg gäbe«, sagte Kate, und ihre strahlenden grünen Augen schimmerten verdächtig, als sie schließlich aufstand, »würde ich dein Gepäck höchstpersönlich aus diesem Wirtshaus schleppen und diesen Wichtigtuern gehörig Bescheid sagen. Doch was hier passiert ist, war kein Zufall. Es war bis ins kleinste Detail geplant. Und wenn du recht hast und wenn es dein Aussehen war, das für diese Feiglinge wichtig war, dann haben sie wahrscheinlich darauf gehofft, dass Diccan seinen Ruf selbst ruiniert, indem er einfach geht.«
»Das würde er niemals tun«, erwiderte Grace instinktiv.
»Nein«, stimmte Kate sanft zu, »das würde er nicht. Aber die meisten Menschen machen sich nicht die Mühe, hinter Diccans Fassade zu blicken.«
Grace wünschte sich nichts mehr, als
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