Lustvolles Erwachen
ist.«
Vor allem von meiner Mutter selbst.
Er war fassungslos. Sie konnte es ihm ansehen. Genau wie jeder andere Mensch, der den unausweichlichen Vergleich zwischen der Glorreichen Georgianna und dem kleinen Colonel zog. Aber die wahre Demütigung kam erst noch, als Diccan, der lässigste Mann im gesamten Königreich, sich in den Sessel fallen ließ, den sie gerade verlassen hatte, und sie entsetzt schweigend anstarrte. Es schien, als hätte er endlich etwas gefunden, das ihn noch mehr erschütterte als seine Ehe.
Kapitel 10
Diccan wusste, dass er ihr eine taktvolle Antwort hätte geben sollen. Etwas Nettes oder Unverbindliches. Doch alles, was er hervorbrachte, war: »Aber sie lebt noch.«
Grace, die arme Grace, nickte nur. Ihre Miene war ausdruckslos, und die Arme hatte sie um ihre Taille geschlungen, als müsste sie sich buchstäblich selbst Halt geben. »Ja«, sagte sie leise, »ich weiß.«
»Sie ist nicht nur lebendig«, fuhr er fort, als hätte er nicht verstanden, »sie war sogar die beliebteste Begleitdame beim Wiener Kongress.«
»Der perfekte Ort für sie.«
Unentwegt schüttelte er den Kopf. Wenn er nicht schon gewusst hätte, dass Gott einen bisweilen seltsamen Sinn für Humor hatte, so war diese Situation Beweis genug. Grace Fairchild war die Tochter einer der berühmtesten Schönheiten dieser Zeit. Reynolds hatte Georgianna Hewitt nicht weniger als sechs Mal gemalt, genauso Romney und Raeburn. Jedes Porträt war erfüllt von dem seltenen himmlischen Strahlen, das wahre Schönheit auszeichnete.
Die Glorreiche Georgianna war der Inbegriff von Anmut und Schönheit: blond, blauäugig und mit einer wunderbaren pfirsich- und cremefarbenen Haut. So zierlich wie eine Porzellanpuppe, jedoch mit weiblichen Rundungen.
Und ihr Lächeln. Sonette waren über dieses Lächeln geschrieben worden, Oden über ein Gesicht, das zugleich schelmisch, süß und verführerisch war. Als Diccan Georgianna vor einem Jahr zuletzt gesehen hatte, hatte sie den Habsburger Hof mit diesem Lächeln beglückt. Selbst mit ihren vierzig Jahren war sie noch so hübsch, dass man sich nach ihr umdrehte.
Wenn er so darüber nachdachte, fiel ihm wieder ein, dass man sich erzählte, sie wäre einst mit einem gut aussehenden Soldaten verheiratet gewesen. Die Legende sagte, dass enttäuschte Bauernburschen am Tag ihrer Hochzeit einen Berg von Blumen auf ihrer Türschwelle zurückgelassen hätten. Wieso hatte niemand über Grace Bescheid gewusst?
Er betrachtete sie, wie sie wie ein Verdächtiger auf der Anklagebank vor ihm stand, auf ihrem unerträglich gewöhnlichen Gesicht ein gefasster Ausdruck, das Haar aus der hohen Stirn zurückgekämmt und zusammengebunden. Und er konnte den Wahnwitz der Situation kaum fassen. Grace lächelte, doch Diccan war nicht so dumm anzunehmen, dass sie das alles irgendwie lustig fand. O Gott. Wie viele Menschen hatten genauso reagiert wie er?
Mit der Entschuldigung, die ihm auf der Zunge lag, hätte er beinahe alles noch schlimmer gemacht. Statt also um Verzeihung zu bitten, erhob er sich, als könnte er seine Reaktion abmildern, und stieß ein leises Pfeifen aus. »Ich muss zugeben, dass ich es schon für fast ausgeschlossen gehalten habe, es dem größten Moralisten der ganzen Welt recht machen zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es war, im Schatten von Helena von Troja aufzuwachsen.«
Grace wirkte noch immer niedergeschlagen. »Mit Legenden zu leben ist nie leicht.«
»Warum hast du behauptet, deine Mutter wäre tot?«
»Das habe ich nicht. Ich habe gesagt, sie wäre nicht mehr da. Und das stimmt ja auch.«
»Seit deinem siebten Lebensjahr.«
Sie sah tatsächlich verständnisvoll aus. »Einige Frauen sind nicht dafür geschaffen, mit dem Militär zu ziehen. Sie hat es versucht. Sie hat es wirklich versucht. Aber am Ende war es zu viel für sie.«
Doch was war mit ihrer Tochter? Hatte die Glorreiche Georgianna nie daran gedacht, ihr Kind mitzunehmen? Es klang nicht so, als hätte sie sie je wiedergesehen.
»Bist du ein Einzelkind?«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen. »Ich hatte noch eine Schwester. Sie kam tot zur Welt. Ich glaube, das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Sie war das perfekteste Baby, das ich je gesehen hatte, und sie hat nicht einen Atemzug machen dürfen.«
Und der makellosen Schönheit war nur noch ein kleines Mädchen geblieben, das in keiner Hinsicht als makellos bezeichnet werden konnte. Kate hatte ihm einmal erzählt, dass Grace
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