Lustvolles Erwachen
Rangordnung, die ich kenne, ist die militärische. Ich passe nicht in die bessere Gesellschaft, Kate.«
»Unsinn«, erwiderte Kate und klang sehr ernst. »Du hast drei Monate lang in meinem Haus gelebt. Ich würde dich nicht als Landei bezeichnen. Du zählst Lady Castlereagh und den Duke of Wellington zu deinen Freunden, und du hast an einigen der exotischsten Orte der Welt gelebt.«
Grace seufzte. »In Baracken. Nicht in Salons.«
»Du sprichst zwölf oder dreizehn Sprachen.«
»Acht, um genau zu sein. Allerdings nur Flüche, Trinksprüche und ansonsten gerade genug, um ein Hühnchen zu kaufen. Es reicht nicht für eine höfliche Unterhaltung.«
»Du bist einer der verständigsten und einsichtigsten Menschen, die ich kenne.«
Neben Kate schnaubte Lady Bea und winkte ab. »Pelz für ein Huhn.«
Es dauerte einen Moment, doch dann hatte Grace verstanden, was Bea damit sagen wollte. »Du meinst, wenn man sich in der feinen Gesellschaft unter die Leute mischt, sind Verstand oder Einsicht nicht unbedingt vonnöten.«
Bea lachte.
Mit ungewöhnlich ernster Miene betrachtete Kate Grace. »Eine Ehe bedeutet mehr, als nur ein paar Botschaftern vorgestellt zu werden«, sagte sie.
Grace nickte. »Ich weiß. Aber es gehört dazu, verstehst du nicht? Wenn ich nicht lerne, mich in diese Welt einzufügen, wird er sich niemals mit mir wohlfühlen.«
Vor Grace’ innerem Auge tauchte ein Bild von Diccans zurückgeworfenem Kopf über ihr auf, von seinem angespannten Gesicht und seinen festen Muskeln. Sie konnte ihn wieder in sich spüren. Diesen einen Moment lang hatte er sich vollkommen wohlgefühlt. Sie wollte diesen Moment wieder erleben und wusste nicht, wie sie das erreichen sollte.
Lady Kate musste ihr etwas angemerkt haben, denn sie spannte abrupt ihren Schirm auf, als wäre er eine Waffe. »Dieser blinde Narr«, zischte sie. »Ich werde ihm das Herz herausschneiden.«
Grace legte ihre Hand auf Kates Arm. »Muss ich dich daran erinnern, dass er diese Ehe weder gewollt noch irgendwie hat vorhersehen können? Er tut sein Bestes.«
»Unsinn. Sein Bestes wäre, wenn er einsehen würde, dass er das beste Geschenk seines Lebens bekommen hat. Du musst nur du selbst sein – das reicht, damit er sich in dich verliebt.«
»Ich habe versucht, ich selbst zu sein, Kate«, erwiderte sie mit einem schiefen Lächeln. »Doch sogar meine Mutter konnte mich nicht ertragen.«
Grace bemerkte ihren Fehler, als sie kurz Mitleid in Kates Augen aufflackern sah. Mit hochrotem Kopf blickte Grace in Richtung des Sees, den die Leute Serpentine Lake nannten. Das Wasser glitzerte hinter den Bäumen. Sie standen nun auf dem Fahrstreifen, während um sie herum Landauer und Kutschen hinter Vollblütern warteten und Bekannte sich wie Vögel auf den Bäumen etwas zuriefen. Es waren Leute, die einander kannten und wussten, wie man sich auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte, während Grace nicht einmal eine Ahnung hatte, wie man eingelassen wurde.
»Er nimmt an Veranstaltungen der Botschaft teil, ohne mich mitzunehmen«, sagte sie und konnte ihre Freundin nicht anblicken. »Ich kann nicht zulassen, dass er sich daran gewöhnt, denn sonst wird er mich nie mitnehmen.«
Dieses Mal war Lady Beas Reaktion unmissverständlich. »Idiot.«
Kate wirkte ebenfalls streitbar. »In dem Fall müssen wir ihn umstimmen. Ich liebe nichts mehr, als einen Mann mit dem zu überraschen, was sich direkt vor seiner Nase befindet.« Sie lachte und tätschelte Lady Beas Knie. »Was meinst du, Bea? Werde ich eine gute Erzieherin abgeben?«
Bea lachte nur. Und endlich lächelte auch Grace. Kates Worte nahmen ihr ein bisschen von der Angst. Sie hatte einen Plan. Sie hatte Freunde, die ihr halfen. Sie hatte ein Ziel. Was spielte es für eine Rolle, dass es nicht das Ziel war, das sie sich erhofft hatte? Es würde von Nutzen sein. Sie hoffte, dass sie so davor bewahrt blieb, ewig nur am Rande an Diccans Leben teilhaben zu dürfen.
Kate klatschte in die Hände. »Großartig. Wir fangen gleich morgen an. Noch etwas?«
Grace starrte auf ihre Hände. »Du hast die Hochzeitsanzeige in die Zeitungen gesetzt.«
Kate grinste. »Du hast es herausgefunden, nicht wahr?«
»Diccans Mutter war es.«
Bea schnaubte verächtlich.
Kates Blick verfinsterte sich. »Du hast sie getroffen? Eine niederträchtige Frau. Hat sie dich mit ihrer unermesslichen Überlegenheit erdrückt?«
»Sie hat einen beherzten Versuch unternommen. Ich wollte dich fragen, was du in der Mitteilung
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