Luther. Die Drohung
ersten
Blick. Seine Geschwindigkeit und Sicherheit dabei sind ihr manchmal unheimlich.
Aber er merkt nie, wenn er sich selbst belügt.
»Diesmal ist es ziemlich schlimm«, sagt er.
»Es ist immer schlimm«, erwidert sie. »Genau darum geht es ja.«
Zoe schämt sich, gleichzeitig ist sie wütend. Und es ärgert sie,
dass John ihr das antun kann – dass sie sich schuldig fühlt, weil sie sich ein
Eheleben wünscht.
Und hier sind sie nun, wie Nachtwächter, die immer wieder dasselbe
Terrain abschreiten, denselben Weg, Nacht um Nacht um Nacht.
»Ich muss das jetzt zu Ende bringen«, sagt er. »Dann rede ich mit
ihr.«
»Nein, das wirst du nicht.«
»Zoe.«
»Das wirst du nicht, John. Denn nach diesem Fall kommt noch einer,
und danach wieder einer. Und danach dann noch einer, und so geht es einfach
immer weiter und weiter und weiter.«
Ein langes Schweigen folgt.
»Scheiß auf Rose Teller«, sagt Zoe. »Die Frau hat es geschafft, mehr
Ehen zu versauen, als sonst irgendjemand, den ich kenne.«
»Zoe …«
Sie legt auf.
Ihre Hand zittert.
Sie schnappt sich die Tabakdose aus ihrer Schublade und stiehlt sich
nach draußen, an die Ecke, wo keine Überwachungskamera hängt.
Sie ruft Mark North an. »Du hattest recht«, sagt sie. »Ich gebe ihm
Chancen. Ich gebe ihm eine Chance nach der anderen, und er lügt einfach. Er lügt
und lügt einfach.« Sie zieht an ihrem Haar und schließt: »Gott. Du hattest so
recht.«
Mark sagt nichts.
Zoe raucht die Selbstgedrehte, pickt sich eine bittere Tabakfaser
von der Zunge. »Ich zittere«, sagt sie.
»Warum zitterst du?«
»Ich hab das noch nie gemacht.«
»Was gemacht?«
»Harrington Hotel«, sagt sie. »In zehn Minuten.«
Stille tritt ein. »Bist du sicher?«, fragt er schließlich. »Denn du
musst dir dabei sicher sein.«
»Nein«, lacht sie, »ich bin nicht sicher. Aber ich hab genug. Ich
bin fertig damit. Es reicht.«
Mark legt nicht auf, und sie auch nicht.
Sie hört ihre eigenen Atemzüge in der Leitung widerhallen, rau vor
Anspannung und Erregung.
Zoe ruft Miriam an und bittet sie, ihre Termine bis nach der
Mittagspause abzusagen.
Miriam ist beunruhigt – das hat Zoe noch nie gemacht.
»Es ist was Privates«, sagt Zoe. »Keine Sorge. Ich bin etwa um zwei
wieder da.«
Sie geht zu Fuß zum Harrington, einem Boutique-Hotel in der
Tabernacle Street. Sie hat keinen Mantel dabei, und es regnet. Sie schlingt die
Arme um ihren Körper, um sich zu wärmen.
Sobald das Hotel in Sicht ist, beginnt sie zu laufen. Klack klack
klack machen ihre Absätze.
Mark hat bereits ein Zimmer reserviert und eingecheckt.
Er sitzt in der durchgestylten Lobby und tut so, als läse er den Guardian .
Er hat eine weiße Schlüsselkarte mit einem schwarzen Magnetstreifen in der
Hand.
Sie sprechen nicht miteinander. Treten direkt in den Aufzug.
Drinnen stehen sie Schulter an Schulter.
Zoe kann ihr Herz hören.
6
Das besetzte Haus besteht aus acht verlassenen
Sozialwohnungen, die miteinander verbunden wurden. Darin wohnen Künstler,
Studenten, Anarchisten, Junkies und Geistesgestörte.
Eine Heizung gibt es nicht. Bröckelnde Wände sind bedeckt mit
Graffiti, gebatikten und bedruckten Bettlaken, Postern.
Malcolm Perry regt sich erst, als er die Schreie unten hört. Es ist
noch früh, und solches Geschrei kommt gewöhnlich von Random Andy, dem
Schizophrenen, den man oft in einer Ecke der hintersten Wohnung kauern sieht,
geduldet von den Kunst-Rebellen mit Dreadlocks, für die unerträgliche geistige
Qualen eine berechtigte Form der Selbstverwirklichung sind.
An diesem Morgen sind die Schreie lauter als sonst, aber Malcolm war
drei Tage am Stück wach wegen eines gepanschten Amphetamins namens Pink Champagne ,
das er vor ein paar Stunden mit etwas Temazepam runtergespült hat.
Deshalb liegt er noch im Bett, als die Polizisten die Tür eintreten
und ins Zimmer strömen wie Lachse bei der Laichwanderung.
Ein großer, schwarzer Bulle in einem Tweedmantel bildet das
Schlusslicht, stampft herein mit einem höhnischen Grinsen hinsichtlich Malcolms
Poster und Siebdruckutensilien.
Malcolm ist ein hagerer Mann mit langem, dünnem Haar und stoppeligem
Bart. Von der Taille abwärts ist er nackt, sein Schwanz ist infolge der Kälte
und des Pink
Champagne zu einem runzligen Klümpchen zusammengeschrumpelt.
Er trägt Wandersocken an spindeldürren Beinen, und eins seiner
selbstbedruckten T-Shirts.
Der große Bulle kommt näher. Er baut sich vor Malcolm auf, sieht
aus, als würde er ihm
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