Luther. Die Drohung
sitzt.
Luther macht sich eine Notiz, sie befragen zu lassen. Aber nicht
heute.
Während Howie sich durch den Verkehr schlängelt, dabei auf der
Unterlippe herumkaut und leise flucht, liest Luther in Tom Lamberts Kalender
und seinen Patientenakten.
Schließlich ruft er Teller an.
»Was haben Sie für mich?«, fragt sie.
»Ein paar Leute, die infrage kommen. Leute, die man unter die Lupe
nehmen sollte. Aber im Moment sticht ein Name heraus: Malcolm Perry. Hat
Lambert mehrfach mit dem Tod gedroht, über zwölf, achtzehn Monate hinweg.«
»Aus irgendeinem besonderen Grund?«
»Lambert hat versucht, ihm wegen seiner Paraphilie zu helfen.«
»Welche Art von Paraphilie?«
»Sex mit Leichen.«
»Nett. Er war also wütend genug, um Mr Lambert zu bedrohen. War er
auch wütend genug, um die Drohungen wahr zu machen?«
»Lamberts Notizen zufolge ist Perry der Grund, weshalb sie
angefangen haben, abends den Einbruchalarm zu aktivieren.«
»Was für eine Welt«, sagt Teller am anderen Ende der Leitung. »Also,
wo finden wir diesen Goldjungen?«
5
Clive,
Zoes Chef, hat seine Teilnahme an einer seit langem geplanten, öffentlichen
Informationsveranstaltung abgesagt. So wird ein Tag, der schlecht anfing, bald
noch schlechter; Zoe muss einer schnatternden Schar Oberstufenschüler die
Arbeit der Kanzlei Ford und Vargas und die Prinzipien der
Menschenrechtsgesetzgebung vorstellen.
Sie erzählt ihnen von Lisa Williams, die im Alter von zwölf Jahren
bei einem Unfall mit Fahrerflucht ums Leben kam. Das war 2003. Der Fahrer war
Aso Ibrahim, ein irakischer Asylant, der bereits beim Fahren ohne Fahrerlaubnis
erwischt worden war.
Aus Mangel an eindeutigen Beweisen für Ibrahims verkehrswidriges
Verhalten klagte der Crown Prosecution Service ihn wegen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis an – das Gesetz zum schwereren Delikt des Tötens durch Fahren
ohne Fahrerlaubnis trat erst 2008 in Kraft.
Ibrahim kam für zwei Monate ins Gefängnis. Seit seiner Freilassung
erhebt er Einspruch gegen seine Abschiebung.
Zoe erklärt der Klasse, dass Aso Ibrahim den Steuerzahler in neun
Jahren mehrere hunderttausend Pfund an Prozesskostenhilfe für Anwälte und Dolmetscher
gekostet hat. Es fanden Anhörungen bezüglich seiner Einwanderung sowie
Gerichtsverhandlungen statt, bei denen er abwechselnd wegen Belästigung,
illegalen Drogenbesitzes und, drei Jahre nach Lisa Williams’ Tod, wegen Fahrens
ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde.
Dann fragt sie die Schüler, was sie mit ihm machen würden.
Der Konsens lautet, wie sie vermutet hatte: heimschicken.
»Aber er hat das Recht zu bleiben«, erklärt sie, »weil er mit einer
Britin zwei Kinder hat. Obwohl er in Wirklichkeit nicht mit diesen Kindern
zusammenlebt, würde es seine in Artikel acht des Human Rights Act
festgeschriebenen Rechte verletzen, wenn man ihn von seiner Exfreundin und den
Kindern trennt.«
Sie fragt die Schüler, was sie davon halten.
Sie lehnt sich zurück und hört zu. Die Jugendlichen diskutieren über
die Gefahr, der Ibrahim im Irak ausgesetzt wäre. Sie sprechen über seine beiden
Kinder und ihr Recht auf einen Vater. Sie sprechen über Lisa Williams’
trauernde Eltern und deren Recht auf eine Tochter.
Zoe lässt sie eine Weile debattieren, dann schildert sie, wie die
British National Party Lisa Williams’ Tod bei den Kommunalwahlen in Barking für
Propagandazwecke instrumentalisierte.
Sie erzählt ihnen, wie Lisa Williams’ Vater, ein gutherziger und
gebrochener Mann, die Einwohner von Barking öffentlich dazu aufrief, nicht die
BNP zu wählen, weil diese Ungerechtigkeit nichts mit der Hautfarbe seiner
Tochter zu tun habe.
Einer der Schüler, ein gut aussehender, arroganter Junge namens
Adam, schlägt vor, Aso Ibrahim solle gehängt werden.
»Jetzt klingst du wie mein Mann«, sagt Zoe, und alle lachen.
Dann erzählt sie ihnen von Artikel fünf der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte: »Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.« Dieser Artikel
verlangt, dass Ibrahim im Vereinigten Königreich Asyl gewährt wird, da die
Ablehnung der Folter ein rechtlicher und moralischer Grundsatz ist.
Sie erkundigt sich, ob es noch Fragen gebe.
Es gibt immer Fragen. Adam versucht, ihren Blick festzuhalten, aber
Zoe war schon ein Profi bei diesem Spielchen, bevor der Junge auf die Welt kam.
»Keine Fragen?«, sagt sie. »Kommt schon. Es muss welche geben. Wer
hat eine Frage?«
Das
Weitere Kostenlose Bücher