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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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vor, als sei jene ganze Welt – schwarzweiß, drei
Sender, Sue Lawley und ihre Beine, ein anständiges, schäbiges Wettbüro,
Spiegelei-Sandwiches, ein Pub, in dem einem nicht den ganzen Tag lang
schreckliche Scheißmusik in die Ohren dröhnte –, als sei das alles
verschwunden, so wie Männer mit Hüten.
    Bill wettet um ein bisschen Kleingeld, verfolgt ein paar Rennen,
gewinnt keinen Penny, aber amüsiert sich trotzdem.
    Dann geht er hinaus. Der arme kleine Paddy ist an einen
Laternenpfahl gebunden. Seine kurzen Beine zittern vor Kälte und der Angst,
verlassen zu werden, und er sieht mit einer Art flehender Erleichterung zu Bill
hoch. Bill fühlt sich ein bisschen schuldig. Er sagt: »Tut mir leid, alter
Junge. War ich lange weg? War ich das?«
    Es ist ihm egal, ob jemand zuhört. Er ist ein alter Knacker mit
einem alten Hund, verdammt noch mal.
    Es geht nur langsam, aber er bückt sich und lässt den Hund in seine
Arme springen. Der kleine Paddy schmiegt sich an seine gewölbte Brust, als
versuchte er, in Bill hineinzukriechen.
    Ein Sikh-Junge, den ersten Flaum eines dunklen Barts am Kinn,
schlendert auf ihn zu. »Alles in Ordnung, Kumpel?«
    Als Bill im Alter des Jungen war, wäre es ihm nie in einer Million
Jahren, hundert Millionen Jahren eingefallen, jemand Älteren »Kumpel« zu
nennen. Dafür hätte man ihm eine gescheuert. Aber der Junge möchte nicht
respektlos sein, ganz im Gegenteil. Bill antwortet mit den Worten: »Ja, mir
geht’s gut, danke, Kumpel.«
    Ein Zwölfjähriger und ein Fünfundachtzigjähriger, die einander
Kumpel nennen. Darin muss doch etwas Gutes stecken, oder?
    »Sind Sie sicher?«, fragt der Junge.
    »Ich bin ein bisschen steif in den Knochen, aber es ist alles in
Ordnung«, antwortet Bill.
    Der Junge nickt etwas verlegen, wie Bill findet, und geht weiter.
    Bill macht sich auf den Heimweg. Er ist jetzt geschlaucht, und die
Beine tun ihm weh, er muss ein paar Tabletten einwerfen. Aber er ist froh, dass
er an der frischen Luft war. Paddy ist leicht wie ein Vogel, und an Bills Brust
gekuschelt, strahlt er eine Art verzweifelte Zufriedenheit aus, eine
Glückseligkeit, einfach nur dort zu sein.
    Bill ist fast zu Hause, als die zwei stämmigen Kerle aus dem
Durchgang zwischen den Häusern treten. Der große Weiße Lee Kidman mit seiner
Lederjacke und dem gefärbten Haar, der fette, asiatisch aussehende Barry Tonga
in seinen tief hängenden Shorts und riesigen weißen Turnschuhen, ein
beschissenes Taschentuch oder so was um den Kopf gebunden.
    Das Erste, was passiert, bevor Bill den Mund aufmachen kann, ist,
dass er sich vor Angst bepisst. Er merkt kaum, dass es geschieht – eine große,
warme Lache breitet sich über seine Hose und an seinem Bein entlang aus und
wird dann schlagartig kalt. Es ist wahrscheinlich über siebzig Jahre her, dass
Bill sich das letzte Mal nass gemacht hat, aber er erinnert sich sofort an das
Gefühl, am liebsten würde er weinen vor Wut und Scham. Er drückt den kleinen
Hund an seine Brust, weil er nicht will, dass er es sieht. Er weiß, wie dumm
das ist, aber Paddy ist das letzte bisschen von Dot, das er noch hat, sie hat
den kleinen Köter geliebt, und der kleine Köter liebt Bill, und eigentlich ist
er ein schwaches kleines Geschöpf, nichts als Haut und Knochen.
    Die Schläger stoßen Bill an der Brust in den Durchgang.
    »Du blöder alter Wichser«, sagt Kidman. Er sieht aus, als würde er
sich toll finden; einer dieser Typen, die meinen, sie wären ein Geschenk
Gottes, bei denen es die Frauen aber eigentlich schüttelt.
    Der andere Typ, ein großer Mondkopf auf massigen Schultern, ist ein
Rätsel. Er hat Tattoos überall auf den Armen und Beinen. Er trägt eine
Dreiviertel-Shorts. Bei diesem Wetter.
     Kidman packt Bills kaputtes
Handgelenk, und ein heftiger Schmerz durchzuckt seinen Arm. Kidman sagt: »Nimm
sein Angebot an. Nimm sein Geld. Schau dich an. Du bepisst dich. Du gehörst ins
Heim.«
    »Du verdammtes Arschloch«, sagt Bill und stellt mit Entsetzen fest,
dass er weint. Er will nicht weinen, aber er kann nichts dagegen tun. Und ihm
fällt nichts ein, was er sagen könnte. Er hat stundenlang im Bett gelegen und
darüber nachgedacht, was er diesen Typen sagen würde, sollten sie noch einmal
auftauchen. Er hatte sie wieder und wieder geprobt, die vernichtende
Verachtung, die Würde, auf der er beharren wollte. Aber nun sind all die Worte
fort, und er steht da, tropfnass von seiner eigenen Pisse, und er weint – die
Worte sind geradewegs aus seinem

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