Luther. Die Drohung
möchten Ihnen nur ein paar Fragen stellen.« Dann macht Sava eine
Kopfbewegung: Folgen Sie mir.
Sava scheint es gut zu gehen. Die Wohnung ist hübsch, nur etwas
düster mit dem dunklen Holz und den türkisch aussehenden Teppichen. Er hat
einen 46-Zoll-Breitbildfernseher mit Hochglanzgehäuse.
Der Wohnraum und die offene Küche riechen feucht, aber nicht
unangenehm. Entlang der längsten Wand sind mehrere große Glasterrarien
aufgestellt.
Luther vergräbt die Hände in den Taschen, bückt sich, um
hineinzusehen. »Was haben wir denn da?«
»Totenkopfschaben«, antwortet Sava. Sein Englisch ist gut, hat
lediglich die Spur eines Akzents. Er ist seit achtzehn Jahren hier.
»O Mann«, sagt Luther, »sind das große Biester.«
»Erschreckend groß. Aber pflegeleicht.«
»Was ist das?«
»Ein chilenischer Tausendfüßler.« Sava kniet sich hin, zeigt auf
einen mehrgliedrigen, vielfüßigen blauen Albtraum so lang wie Luthers Hand.
»Das hier drüben sind Rotknie-Vogelspinnen. Das hier ist eine mexikanische
schwarze Königsnatter.«
Luther sieht in die gleichmütigen gelben Augen der schwarzen
Schlange. Er wirft einen Blick zu Howie.
Sie steht mit verschränkten Armen drüben in der Kochnische und versucht,
nicht völlig angeekelt auszusehen.
Luther betrachtet den Leguan im größten Terrarium: ein sandfarbenes
Geschöpf mit einem Kehllappen und Stacheln, das auf einem knochenbleichen Ast
sitzt. Dann gesellt er sich zu Howie, während Sava wie eine alte Jungfer in der
Küche herumfuhrwerkt, um Kaffee zu machen. Er fragt: »Also, warum sind Sie
hier?«
»Weil wir einen Rat brauchen.«
»Wobei?«
»Geklauten Babys.«
Sava ist damit beschäftigt, Kaffeebohnen zu mahlen. Die Maschine
macht ein schrilles Zahnarztgeräusch.
»Wir sind nicht hier, um alte Anschuldigungen wieder auszugraben«,
sagt Luther. »Wir brauchen ehrlich nur einen Hinweis.«
»Ich vermute, es geht um das Baby, das gestohlen wurde. Den
verrückten Radiotypen. Die tote Frau, wie auch immer.«
Luther nickt.
»Da fragen Sie den Falschen«, sagt Sava. »Der Babyhandel geht in die andere Richtung. Babys kommen aus Osteuropa nach England. Nicht andersrum.« Er mustert
Luther, seinen verzogenen Mund. »Was? Das gefällt Ihnen nicht?«
»Nicht besonders.«
»Natürlich! Die Menschenrechtsaktivisten sind empört! Es ist falsch ,
einen Menschen zu kaufen oder zu verkaufen! Den Schiebern geht es nur ums Geld.
Sie sind Abschaum. Wo sind Sie geboren, DCI Luther?«
»London.«
»Okay. Ihre Eltern?«
»London.«
»Deren Eltern?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich will auf Folgendes hinaus: Wenn es etwas gibt, das schlimmer
ist als ein schlechtes Zuhause in einem reichen Land, dann ist das kein Zuhause
in einem armen Land. Ein ungewolltes Kind findet also ein glückliches Zuhause
in London oder Barcelona …«
Er kommt ganz schön in Fahrt. Luther denkt kurz an Roid Rage, die
aggressive Hypomanie, die mit Steroidmissbrauch in Verbindung gebracht wird. Er
betastet das Pfefferspray in seiner Tasche, dreht es in seiner Handfläche hin
und her.
»Wäre es so schlecht«, fragt Sava, »dahinterzukommen, dass Ihre
Eltern Sie so ersehnen, dass sie bereit sind, Geld für Sie zu bezahlen? Gegen
das Gesetz zu verstoßen? Ein Risiko einzugehen, um Ihnen ein liebevolles
Zuhause zu schenken? Wie kann das etwas Schlechtes sein? Das verstehe ich
nicht. Erklären Sie mir das bitte.«
»Menschen verkauft man nicht, sie sind kein Vieh.«
»Ach nein?«
»Nein.«
»Vor zwanzig Jahren«, sagt Sava, »zeigen die englischen Nachrichten
die fürchterlichen Bedingungen in rumänischen Waisenhäusern. Die Kinder sind
nackt, am Verhungern, mit Scheiße beschmiert. Sie sterben. Also entscheiden
sich Tausende von westlichen Familien, diese Waisen zu adoptieren, okay? Sie
vor so einem schrecklichen Scheißleben zu bewahren. Aber parallel zum legalen
Markt schießt ein Schwarzmarkt aus dem Boden. Rumänien ist ein gescheiterter
kommunistischer Staat, vergessen Sie das nicht. Überall, wo man nur hinsieht,
wird in die eigene Tasche gewirtschaftet, werden Leute geschmiert. Die alte
Geschichte. Wegen dieser Korruption setzt die Europäische Union die rumänische
Regierung dann unter Druck. Sie soll nicht die illegale Adoption in den Griff
bekommen, sondern Adoption
in andere Länder komplett stoppen .
All diese Babys, all diese kleinen Kinder. Ihre Adoption durch
reiche westliche Familien wurde genehmigt! Offiziell genehmigt! Abgesegnet! Sie
leben in Dreck und Elend wie
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