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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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geschieht das auch. Sie gibt
ihm absurd viel Trinkgeld, kritzelt ihre Unterschrift hin, wirft das
Portemonnaie in ihre Tasche, zieht sich den Mantel an und torkelt hinaus.
    Sie geht zur Bushaltestelle und wartet, mit den Füßen stampfend und
zitternd. Es ist richtig, richtig schweinekalt.
    Das macht ihr nichts aus, denn davon sollte sie wieder nüchtern
werden. Aber stattdessen muss sie pinkeln.
    Sie holt noch einmal ihr Handy heraus. Sie denkt darüber nach, Matt
im Samariter-Büro anzurufen. Aber sie weiß schon ganz genau, was er sagen wird.
    Also steckt sie das Handy wieder in die Tasche und wartet auf den
Bus.
    Sie beobachtet die Autos und Taxis und Minicabs.
    Ein Bus stottert und rumpelt auf der anderen Straßenseite vorbei,
eine lang gezogene, bunte Blase voller Leute.
    Ein Auto bleibt an der Ampel stehen. Ein ganz normales Auto. Ein
Mann sitzt am Steuer, und seine Frau sitzt neben ihm. Sie unterhalten sich über
irgendwas. Auf der Rückbank sind zwei Kinder, ein etwa fünfjähriges Mädchen und
ein schlafendes Baby in einem Kindersitz.
    Caitlin ist nahe genug dran, um nach einem einzigen Schritt vorwärts
sanft ans Fenster klopfen und sagen zu können: Fahren Sie nicht nach Hause, dort
sind Sie nicht sicher.
    Aber das sind nicht die Daltons. Sie können es nicht sein. London
ist zu groß und überfüllt mit Menschen.
    Aber selbst in einer so pulsierenden und so unersättlichen Stadt
kreuzen und berühren sich Lebenswege. Caitlin stellt sich vor, wie sie die Hand
ausstreckt, an das Sicherheitsglas klopft, diese Leute rettet.
    Die Frau, die Gattin, spürt, dass Caitlin sie anstarrt. Sie dreht
den Kopf und sieht Caitlin mit der ungebändigten Angriffslust einer Löwin in
die Augen – das Gesicht einer Frau, deren kleine Kinder hinten im Auto schlafen
und die jeden Moment für sie töten würde.
    Caitlin ist gerührt. Sie lächelt.
    Die Frau reagiert mit einem befremdeten Blick, der um die Augen
etwas weicher ist. Dann schaltet die Ampel um und das Auto fährt los und ist
verschwunden, wird weitergepumpt durch die Adern Londons, und Caitlin weiß,
dass sie diese Leute nie wiedersehen wird.
    Sie denkt an Megan, die Freundin, die Selbstmord begangen hat. Und
sie denkt an ihren bescheuerten Ex. Sie denkt an ihre Mum und ihren Dad und
ihre Schwester und ihre Nichten und ihre Neffen.
    Sie denkt an ihre Großeltern, ihren Duft und ihren bedingungslosen
Glauben an das Wunder von Caitlins Dasein.
    Caitlin geht zu einer Telefonzelle. Sie wirft eine Zwei-Pfund-Münze
ein. Über ihr iPhone greift sie aufs Telefonbuch zu. Dann wählt sie den ersten
Dalton im Londoner Verzeichnis.
    Der Hörer wird beim neunten Klingeln abgenommen. Eine belegte
Stimme, die Stimme eines Familienvaters, der aus dem Schlaf aufgeweckt wurde.
»Hallo?«
    »Hallo«, sagt Caitlin. »Das hört sich jetzt echt seltsam an, und es
tut mir leid, falls ich mich täusche. Es tut mir wirklich leid. Ich hoffe, ich
täusche mich. Aber ich glaube, jemand hat möglicherweise vor, Ihnen und Ihrer
Familie etwas anzutun.«
    Es gibt hundertsechzig Daltons im Londoner Telefonbuch.
    Caitlin ruft sie alle an.

18
    Luther hasst Gefängnisse. Holloway hasst er besonders. Es
fühlt sich an wie ein schlecht konzipiertes Krankenhaus.
    Er wartet in dem halbdunklen Raum für Treffen außerhalb der
Besuchszeiten, als zwei Aufseher Sweet Jane Carr hereinführen.
    Sie ist so hübsch, dass es beinahe obszön ist. Sie erinnert ihn an viktorianische
Erotika. Aber ihre Figur ist unverhältnismäßig korpulent.
    Er versucht, sie nicht anzustarren, als sie sich hinsetzt und die
dicken Schinkenunterarme unter massigen Brüsten verschränkt, ihn aus lieblichen
Augen mustert.
    Sie fragt: »Also, was wollen Sie?«
    Sie hat eine gruselige, dünne Piepsstimme. Wie Marilyn Monroe auf
Helium. Sie erinnert ihn an die Geister kleiner Mädchen.
    »Ich will, dass Sie mir helfen«, antwortet er. Er legt die Hände
flach auf den Tisch, als wollte er sich darin verankern.
    »Wobei?« Sie kräuselt die rosigen Lippen, liebreizend und amüsiert.
Er erhascht einen Blick auf das wurmstichige Wesen in ihrem Inneren.
    »Ein Mann, den Sie kennen«, sagt Luther. »Ein Freund von Ihnen.
Henry Grady.« Er macht eine Pause, wartet ab, um zu sehen, ob der Name eine
Reaktion hervorruft. Das tut er nicht. Sweet Janes Augen funkeln. Sie lächelt
wie eine Porzellanpuppe.
    »Er hat eine ganze Familie umgebracht«, sagt Luther. »Ich fürchte,
dass er das noch mal machen wird.«
    »Okay«, sagt sie. »Ich kann

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