Lux Aeterna 2 (Die Abenteuer des Vampirs Jason Dawn) (German Edition)
beherrscht hatten, obwohl er doch ursprünglich als Hybridenvampir erschaffen worden war. Aber welche Gestalt trug ihn da eigentlich auf so sicheren Schwingen hoch über der Erde? Er blickte sich um. Seine Augen und Ohren waren so scharf wie als Vampir und doch irgendwie anders, wie ein Radiosender, der plötzlich dasselbe Programm auf einer anderen Frequenz empfing.
Ein paar Krähen flogen etwas entfernt von ihm vorbei. War er etwa eine von ihnen? Aber nein, die Farbe seiner Federn war an der Unterseite heller, soviel konnte er aus den Augenwinkeln immerhin feststellen. Und wie kam man hier wieder runter? Stell es dir einfach vor , dachte er fest entschlossen und nahm noch etwas ungeschickt Kurs auf sein Landhaus. Noch bevor er den Boden berührte, spürte er, wie er sich wieder zu einer menschlichen Gestalt wandelte und sicher auf beiden Füßen landete. „Wow!“, sagte er laut und strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Er lächelte in sich hinein. Wenn das Leander erfuhr! Aber sollte er seinen Freund überhaupt darüber informieren, dass der Fürst der Neuzeitvampire auch die Gabe der alten Meister beherrschte, selbst wenn er sie zufällig wieder entdeckt hatte? Würde dieser ihn dann nicht erst recht als Gefahr für seine Tochter betrachten? Womöglich wäre dies das Ende ihrer Freundschaft. Nein, Jason beschloss, Leander vorläufig nichts von seiner Entdeckung zu erzählen. Trotz seiner Freude über diese unerwartete zusätzliche Fähigkeit hatte Jason das Gefühl, dass irgendwo ein Haken an der ganzen Sache sein musste.
* * *
Evelyn räkelte sich in den Laken ihres übergroßen Bettes in ihrer Wohnung über dem Club. Im Halbschlaf tauchte kurz Jasons Bild in ihrem Kopf auf, obwohl ein ganz anderer Mann neben ihr lag: Shane. Sie lächelte kurz, als sie sich vorstellte, wie beide gemeinsam ihren schier unersättlichen Appetit in Sachen Liebe stillten. Sie empfand kein schlechtes Gewissen Jason gegenüber, obwohl sie eine gewisse Sehnsucht nach ihm verspürte. Sie nahm sich das, wonach ihr der Sinn stand, und ihren Verführungskünsten hatte noch keiner widerstanden, sei es Mensch oder Vampir. Auf dem Nachtisch summte der Vibrationsalarm ihres Handys. Immer noch schlaftrunken nahm sie ab und erfuhr, dass unten im Club ein Besucher auf sie wartete und nur mit ihr persönlich sprechen wollte. Vielleicht war das der junge Fürst, von dem sie gerade geträumt hatte? Sie warf einen Blick auf den schlafenden Shane und schlug die Bettdecke zurück. Rasch schlüpfte in ein paar bequeme Kleidungsstücke, fuhr mit ein paar Bürstenstrichen über das lange Haar, trug ein dezentes Make-up auf und verließ dann die Wohnung.
Der dunkel gekleidete junge Mann in dem halbdunklen Gastraum war durchaus attraktiv, aber es war nicht Jason und sein weißer Stehkragen sprach eine andere Sprache. Evelyns Vorfreude schlug in Ärger um. „Guten Morgen, Pater. Sie kommen doch nicht etwa wegen einer Spende zu so früher Stunde?“, fragte sie ungehalten und goss sich einen Drink an der Bar ein, was der Besucher mit einem missbilligenden Blick quittierte.
„Es ist bereits um die Mittagszeit, und ich habe Order, Ihnen diesen Brief zu übergeben, wenn Sie Evelyn Marshall sind“, sagte er in bemüht freundlichem Ton. Er reichte ihr einen übergroßen Umschlag mit einem roten Siegel auf der Rückseite. Evelyn erinnerte dieses Siegel an etwas, was lange zurück lag. „Danke“, sagte sie kurz angebunden. Der junge Geistliche verließ den Club, in dem ein zwei Putzfrauen mit dem Saubermachen beschäftigt waren. Die schöne Hybridenvampirin brach das Siegel auf und begann, zu lesen:
Meine Tochter,
ich bete jeden Tag für Eure unsterbliche Seele, die Ihr der Verdammnis habt anheim fallen lassen. Ihr ward eine wertvolle Mitstreiterin für unsere große Sache, wie mir mein Vorgänger mitteilte, und ich bedaure Euren Verlust aus tiefstem Herzen. Auch wenn Ihr mich nicht kennt, so wage ich es doch, Euch um einen Dienst zu bitten. Die Führer unserer großen Kirchen befürchten, dass es unter Euch noch Erschaffer und direkte Abkömmlinge Liliths geben könnte. Da unser Bund mittlerweile geschwächt ist, bedürfen wir eines Vertrauten in den Reihen unserer Gegner. Wir möchten Euch nicht auffordern, Eure Freunde eigenhändig zu vernichten, wie Ihr es zu früherer Zeit getan habt. Uns genügen Informationen, um eine neue und aktuelle Liste zu erstellen. Für unser weiteres Vorgehen werden wir die alleinige Verantwortung
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