Lux Aeterna (German Edition)
zu einem Opfer machte und gleichzeitig zu einem Grenzgänger transformierte. Es wäre seine einzige Chance, zu „überleben“, hatte der Emigrant gesagt und den Sterbenden angewiesen, mit letzter Kraft in den leeren Sarkophag zu steigen. Victor erinnerte sich noch an die Härte des Steins, bevor sein Leben langsam verlosch wie die Lampen einige Stunden zuvor. Der Vampirmeister vollendete die Wandlung durch die Benetzung der Lippen des Sterbenden mit ein paar Tropfen Blut aus seinen eigenen Adern.
Dann schloss er den Deckel und ließ Victor in der Schwärze des Grabes ertrinken. Der Transformation folgte ein langer, gnädiger Schlaf. Der Vampirmeister selbst war nach seiner Stärkung durchaus in der Lage gewesen, die Eisentür zu öffnen und in die Freiheit zu entkommen.
Nach seinem Erwachen in der Neuzeit sah Victor Vartan sich nun in seinem vormaligen Grab um. Die Luft in diesem Raum war immer noch stickig und verbraucht, doch das störte ihn jetzt nicht mehr. Sauerstoff war für Vampire nicht unbedingt lebenswichtig. An einer Wand war eine relativ neue Mauer aus Ziegelsteinen im Zuge eines früheren Umbaus errichtet worden. Hier musste damals diese Tür gewesen sein. Dies war die Schwachstelle, die auch ein erschöpfter, neu erschaffener Grenzgängervampir mit der ihm noch verbliebenen Stärke einreißen konnte.
Die wenigen Menschen, die noch zu so später Stunde unterwegs waren, hielten die zerlumpte, schwankende Gestalt auf den U-Bahngleisen für einen lebensmüden Penner. Doch dieser Penner war gerade in der Nacht nicht zum Schlafen aufgelegt. Mühsam kletterte der Neuankömmling auf den Bahnsteig. Eine Streife der U-Bahn-Polizei, die besorgte Reisende alarmiert hatte, war dem altmodisch gekleideten Typen eine Weile gefolgt. Er erschien ihnen irgendwie orientierungslos. Die beiden Beamten führten das auf den nicht unüblichen Alkoholgenuss in diesem Milieu zurück. Nach einer Weile sprachen sie den scheinbar Obdachlosen an einer menschenleeren Haltestelle an, fragten nach seinem Namen und seinen Papieren. Unter den strähnigen, graumelierten, langen Haaren blickten den beiden Polizisten zwei Augen entgegen, die eiskalten Kristallen glichen. Augen ohne Seele. Tiefdunkle Amethyste in einem bleichen, knochigen Gesicht.
„Brauchen Sie Hilfe?“, fragte einer der Polizisten, als Victor sich nicht rührte.
Ein Lächeln huschte über die schmalen Lippen des Vampirs. „Danke. Jetzt habe ich alles, was ich brauche“, erklang seine kehlige Stimme mit einem spöttischen Unterton.
Wenige Minuten später waren die beiden Streifenbeamten tot. Ihre blutleeren Leichen rollte Victor in das Gleisbett der U-Bahn. Die würde den Rest schon erledigen. Er hatte dieses rasende Ding auf Schienen das erste Mal mit Schrecken beobachtet. Dann aber hatte er festgestellt, dass es wohl ein recht beliebtes Transportmittel der heutigen Menschen war und ignorierte dessen Lärm nunmehr.
Nach seinem ersten nächtlichen Mahl war Victor Vartan zu wahrer Stärke erwacht. Das tote Herz wurde wieder mit neuem Leben gespeist und pumpte frisches Blut durch die trockenen Adern. Die Haut straffte sich zu jugendlicher Frische. Die Augen leuchteten wieder, aber nicht vor Lebenskraft, sondern aus einem Abgrund heraus, der alles verschluckte, was dort hineinsah. Mit allen Sinnen nahm Victor jetzt seine neue Existenz als Bewohner der Schattenwelt wahr. Doch instinktiv fühlte er, dass er sich zunächst seiner neuen menschlichen Umgebung anpassen musste, um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen.
Dazu benötigte er entsprechende Kleidung und vor allen Dingen einen Vertrauen, der ihm half, sich in die heutige Welt zu integrieren. Am besten eine Frau , dachte Victor und grinste. Er verließ die Subway-Tunnel und tauchte ab in die Neonlichter der Londoner Innenstadt.
Die Grenzgänger in der Stadt spürten das Erwachen eines neuen Vampirs, sobald dieser die Augen aufgeschlagen hatte und die ersten Gedankenwellen aussandte. Die Hybriden waren da weniger feinfühlig, bei ihnen musste eine räumliche Nähe vorhanden sein, um telepathische Muster zu empfangen. Beide Rassen hatten dagegen bei den Menschen leichtes Spiel. Sie waren die geborenen Verführer. Die Gedankenkraft, die jetzt erwacht war, unterschied sich aber von der normaler Vampire. Sie war angereichert mit der Kraft schwarzer Magie, die jahrelang als Mensch ausgeübt worden war. Victor Vartan war zu seinen Lebzeiten ein Priester Azraels gewesen. Als Vampir war er doppelt
Weitere Kostenlose Bücher