Lux Aeterna (German Edition)
mitten unter ihnen lebten – angepasst an das Tageslicht und das normale Leben. Wer von den Menschen konnte schon wissen, ob sein Nachbar, sein Kollege, ja, sein Freund, zu den dunklen Engeln gehörte? Selbst die Regierungen glaubten, sie alle vernichtet zu haben, doch sie wuchsen langsam zu alter Stärke heran. Und eines Tages würden sie sich wieder aus der Dunkelheit erheben.
* * *
Nach dem Tod des Grenzgängervampirs Adrian Rivers hatte Leander den Londoner Nachtclub The Cube übernommen und Charlene Morrow, eine Hybridenvampirin, als Geschäftsführerin eingesetzt. Die berüchtigten Payback-Partys der Vampire gab es nicht mehr. Stattdessen wurde das Etablissement umbenannt in Angel’s Resort und im amerikanischen Stil einer Lounge eingerichtet. Besonders beliebt war das Angels jetzt bei der Gothicszene und Künstlern der Stadt.
Leanders Ansehen bei den Vampiren war seit dem Tod des Neuzeitfürsten Jason Dawn gestiegen, nachdem er auf einer Versammlung der Grenzgängervampire von seiner damaligen Wandlung berichtet hatte. Die alten Vampirmeister waren in wenigen Monaten von den Menschen ausgerottet worden, und somit hatten die Grenzgänger die Aufgabe übernommen, die vampirische Rasse zu regieren und zu regulieren, denn sie allein besaßen die Möglichkeit, neue Vampire zu erschaffen, eine Eigenschaft, die bislang nur den Fürsten der alten Tradition vorbehalten gewesen war. Immer noch fürchteten sie die neue Waffe der Menschen gegen die Vampire, das so genannte Engelsblut , bestehend aus einer Chemikalie, die sonst nur in harmlosen Leuchtstäben zu finden war und vornehmlich aus Wasserstoffperoxyd bestand. Aus diesem Grunde hatten sich die Hybriden wie die Grenzgänger wieder in die Dunkelheit zurückgezogen, obwohl sie unbeschadet am helllichten Tage leben und arbeiten konnten.
Nur einer hatte von all dem nichts mitbekommen. Seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts schlief der Grenzgängervampir Victor Vartan in einem verborgenen Raum in der Nähe der vergessenen und mittlerweile teilweise verschütteten Schächte der Londoner U-Bahn. Es war purer Zufall, dass einer dieser Schächte durch einen Umbau wieder freigelegt wurde. Der Lärm der Bauarbeiten und die Erschütterungen der Presslufthämmer drangen in die bislang noch unentdeckte Kammer unter einer nicht mehr existierenden Kapelle. Dort lag sein steinerner Sarkophag, ein schlichter Kasten aus grauem Beton, bedeckt von einer zentimeterdicken Schicht aus Staub und Geröll. In dieser Nacht schob sich der Deckel des Betonkastens mit lautem Knirschen beiseite und zerbrach mit Getöse auf dem Boden, der früher mal zu einer Krypta gehört haben musste. Einige Meter von diesem Raum hatten die Bauarbeiten geendet. Jetzt – mitten in der Nacht – war es still hier. Doch das feine Gehör des Vampirs nahm das ferne, metallene Kreischen der U-Bahnen war. Es war ein Geräusch, das ihm fremd war. Vampire haben keine Uhren und müssen sich nach einem so langen Schlaf zunächst einmal orientieren. Genau das hatte Victor Vartan vor.
Außerdem brannte der Durst in ihm, der Durst von vielen Jahren Enthaltsamkeit. Sein ausgemergelter Körper brauchte Nahrung, seine erste Nahrung als Vampir. Er sah an sich herunter. Von der Kleidung, einem altmodischen Anzug aus groben, dunklen Tuch, waren nur noch großflächige Fetzen vorhanden. Früher war dies einmal die Soutane eines Priesters gewesen. In dieser durch schwarze Messen entweihten Kapelle pflegte Victor zu einer Zeit, in der Séancen und Esoteriker die erste Hochkonjunktur erlebten, den Vorsitz eines alten Ordens einzunehmen, der den Todesengel Azrael {2} verehrte. Bis zu jenem Tag, an dem aufgebrachte Anhänger der katholischen Kirche, die von einem von Victors Widersachern aufgestachelt worden waren, die kleine Kapelle bis auf die Grundmauern niedergebrannt hatten. Victor selbst war damals mit einem seiner Anhänger, einem adeligen Emigranten aus Russland, mit knapper Not entkommen und in die Krypta geflohen. Dort waren sie beide von dem einstürzenden, brennenden Gemäuer eingeschlossen worden. Die schwere Eisentür, die damals noch existierte, hatten sie nicht mehr öffnen können. Nach endlosen Stunden waren die Petroleumlampen erloschen. Die Luft in ihrem Gefängnis war heiß und brannte in den Lungen. Nachdem einige Stunden in der Dunkelheit vergangen waren, hatte Victor den stechenden Schmerz an seinem Hals gespürt. Der Russe war einer der alten Vampirmeister gewesen, der ihn nun
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