Lux Aeterna (German Edition)
eintreffen. Jetzt musste Leander sich beeilen. Sie brauchten die Fürstin, bevor der nächste Tag begann. Sie brauchten die Grenzgängervampire. Und er musste noch ein wichtiges Utensil besorgen. Was hatte der alte Marcus Carolus noch gesagt? England ist voller Folterkeller.
* * *
Das Urteil über Xavier stand eigentlich schon fest, bevor der Gefangene eintraf. Auf Hochverrat an der vampirischen Rasse und Vertragsbruch stand der Tod. Das wusste auch der Vampirprinz selbst. Oder hoffte er immer noch auf eine Gnade seines früheren Erschaffers? Aus dem geräumigen Speisezimmer des Landhauses im Erdgeschoss hatte Leander einen provisorischen Gerichtsraum gemacht. Hinter dem langen Esstisch hatten sich Jason, Lady Alderley und er selbst als Richter niedergelassen.
Die vier Hybriden bewachten nach wie vor den Vampirprinzen, und fünf der verbliebenen Grenzgängervampire aus Europa waren hierher geeilt und als Zuschauer und Zeugen anwesend.
„Da wir den Cadre Noir nicht mehr anrufen können, habe ich dieses Gericht einberufen in Gegenwart des ersten legitimen Neuzeitfürsten, der Vampirfürstin Lydia Alderley und meiner Funktion als Vermittler zwischen der vampirischen und der menschlichen Rasse“, begann Leander Knight die Verhandlung. In kurzen Worten schilderte er der Form halber die bisherigen Vergehen von Xavier Dantes, die im Grunde jeder der Anwesenden kannte.
„Für den hinterhältigen Mord an dem Fürsten Jason Dawn, für meine Geiselnahme, die Anstiftung zum Widerstand gegen die Vereinbarungen zwischen Menschen und Vampiren und unzähliger weiterer Vergehen gegen beide Rassen wird Xavier Dantes jetzt und hier zum Tode verurteilt.“
Mit diesem Satz, gesprochen von der Fürstin Lady Alderley selbst, endete die Verhandlung. Die Anwesenden nickten zustimmend. Keiner von ihnen hatte für den Angeklagten Partei ergriffen.
Jason blickte zu Xavier, der teilnahmslos und starr auf seinem Stuhl aus. Seine Augen waren auf einen imaginären Punkt im Raum gerichtet. Für einen kurzen Moment erinnerte sich Jason an den zerbrechlichen Jungen, der damals in seinen Armen gelegen hatte. Oder war es Xavier, der dieses Bild in seinem Kopf projizierte?
Der Fürst der Neuzeitvampire erhob sich.
„Dein Urteil ist gesprochen und einstimmig angenommen, Xavier Dantes“, richtete er das Wort an den Angeklagten. „Aber niemand von uns Dreien wird dich richten.“
Was hatte das zu bedeuten?
In Xaviers blaugrünen Augen glühte wieder etwas Hoffnung auf. Vielleicht empfand Jason ja doch noch etwas für ihn?
Leander gab den beiden bediensteten Hybridenvampiren, die das Haus auch während der Abwesenheit der Fürsten betreut hatten, ein Zeichen. Sie verließen den Raum, um kurz darauf mit einem riesigen Metallbehälter wieder zu kehren, den sie aufrecht hinstellten. Xaviers Hoffnung zerbarst mit dem kreischenden Geräusch, mit dem die Hybriden den nach menschlichen Umrissen geformten Behälter öffneten, dessen Deckel mit dolchartigen, dünnen Spitzen übersät war. Er hatte sofort erkannt, worum es sich bei dieser Kiste handelte: eine eiserne Jungfrau.
„In diesem Gefängnis wirst du schlafen“, erklärte Leander dem kreidebleichen Xavier. „Sobald du wieder beginnst, zu atmen, pfählst du dich selbst und verblutest.“
„Du könntest uns auch sagen, wo sich die Waffen der Einhörner befinden“, schlug Jason jetzt ganz ruhig vor, „dann würden wir dich auf der Stelle enthaupten. Das wäre immerhin ein gnädiger Tod.“ Soviel Kaltblütigkeit hätte Xavier dem früheren Gefährten niemals zugetraut. Er blickte Jason offen ins Gesicht.
„Sie sind näher als ihr ahnt“, grinste er, obwohl er gar nicht wissen konnte, ob die Lady in ihrem Sarg hierher gekommen war oder nicht. Aber er vertraute da auf Leanders „Menschlichkeit“, einen Vampir nicht zu spontan aufzuwecken.
Der Halbengel wurde ungeduldig. Ihnen lief die Zeit davon. Der Morgen würde hinter den Hügeln anbrechen und die Fürstin zwingen, den Tag wieder in ihrem Sarg zu verbringen. Also gab er den Hybriden Anweisung, den widerstrebenden Gefangenen in die Metallkiste zu zwingen. Mit breiten Lederriemen wurde er bewegungslos an den Boden gefesselt. Immer noch blickte Xavier zu Jason hin, ließ ihn mit seinem Blick nicht los, bis der schwere Deckel langsam zufiel. Die Spitzen senkten sich auf Xaviers Körper, hinterließen überall blutige Punkte. Ihre Länge war so millimetergenau berechnet, dass sie gerade so die Haut durchdrangen.
Weitere Kostenlose Bücher