Lux Aeterna (German Edition)
Mittwoch kam Anna nicht nach Hause.
„Wer sollte Lösegeld von einer allein erziehenden Mutter erpressen? Nein, diese Entführung hat einen anderen Hintergrund.“ Gerhard sprach besonders leise, damit die in Tränen aufgelöste Mutter, die gerade im Wohnzimmer von einem Seelsorger betreut wurde, das Gespräch in der Küche nicht mitbekam.
Harald Welsch zeigte dem Kollegen den Drohbrief, den er eine Woche zuvor erhalten hatte.
„Ich gehe davon aus, dass es sich um einen meiner Spezies handelt, den ich mal eingebuchtet habe. Leider habe ich den Brief nicht ernst genommen“, sagte er besorgt.
„Wir gehen der Sache nach, die Fahndung ist bereits in vollem Gange. Mach dir keine Sorgen, wir finden eure Kleine.“ Gerhard klopfte Harald beruhigend auf die Schulter.
‚Aber in welchem Zustand’ , dachte dieser nur und beschloss, zusätzlich auf eigene Faust zu ermitteln.
Gemeinsam mit Rita ging er am nächsten Morgen die Liste der schweren Jungs durch, die durch sein Kommissariat hinter Gitter gelandet waren.
„In den letzten vier Monaten entlassen wurden nur zwei“, meinte Rita. „Einer davon hat wenigstens eine Familie, der andere ist in einem Obdachlosenheim gelandet.“
„Wir werden uns beide mal ansehen“, beschloss der Kommissar.
„Chef, ich hab’ mal ’ne Bank überfallen, aber ich werd’ doch kleinen Kindern nix antun“, bestritt Stefan Gregorius heftig bei der Befragung. „Ich hab’ doch selbst zwei Kinder. Nee, sowatt mach ich nich. Ich bin doch froh, dat ich raus bin aus’m Bau. Und ’nen Job hab ich auch ab nächste Woche. Nee, nee.“
Welsch glaubte ihm. Der unrasierte Typ im offenen Hemd vor ihm sah zwar wenig vertrauenerweckend aus, aber eine kaltblütige Kindesentführung traute der Kommissar ihm nicht zu.
Seine Frau und die beiden Kinder saßen dabei verschüchtert auf dem Sofa.
„Kommen Sie“, sagte Welsch zu seiner Assistentin. „Schauen wir uns mal den zweiten Verdächtigen an.“
„Der Klaus is nicht mehr da. Hat sich nur für ’ne Nacht hier eingetragen“, meinte der Hausmeister vom Obdachlosenheim und biss in seine Stulle.
„Hat er eine Adresse hinterlassen oder zu irgendjemandem Kontakt gehabt?“
„Nö, hat nur hier gepennt und is dann auf und davon.“
„Na klasse, ohne berechtigten Verdacht können wir keine Fahndung ausrufen“, meinte Welsch. „Sehen wir uns noch mal seine Akte an“, schlug Rita vor.
Zurück im Büro durchforsteten sie nochmals alle Unterlagen. Klaus Hilfrich hatte bereits eine lange Liste an Vorstrafen, bevor er wegen eines brutalen bewaffneten Raubüberfalls für längere Zeit eingesessen hatte.
„Den Toten hat er auf das Konto seines Komplizen geschoben.“
„Und der ist wiederum von dem Wachmann erschossen worden.“
„Für Mord würde der Typ ja auch heute noch einsitzen. Leider konnte der Staatsanwalt ihm nicht beweisen, dass er geschossen hat. Die Waffe lag in der Hand des Komplizen, und es gab keine anderen Fingerabdrücke, ebenso wenig wie Zeugen.“
„Und außerdem“, Rita klappte die Akte zu, „gilt Hilfrich als cholerisch und gewalttätig. Vielleicht ist er ja auch rachsüchtig! Schließlich hat seine Frau ihn mit dem Kind verlassen, nachdem er verknackt wurde. Und da Sie keine eigenen Kinder haben, Chef, rächt er sich über Ihre Schwester.“ „Reicht aber immer noch nicht als Grund für einen Fahndungserlass.“
„Dann hören wir uns doch mal im Bau um, vielleicht hat er ein paar Kollegen was erzählt!“
Manchmal hatte seine Assistentin echt gute Ideen, gab der Kommissar innerlich zu.
Leider blieben auch die Befragungen in der JVA Fuhlsbüttel ohne wirkliches Ergebnis. Einer der Insassen erzählte wohl noch, dass Klaus Hilfrich früher einmal zur See gefahren war, was die Suche nicht gerade erleichtern würde, falls er anheuern sollte. Den Kommissar beschlich ein ungutes Gefühl bei diesem Gedanken.
* * *
Der rostige Seelenverkäufer aus Honduras dümpelte an den Tauen vor sich hin. Das Schiff wartete auf seine Abwrackung. Unten in die leeren Frachträume drang selbst am helllichten Tag kaum Licht hinein. Auf einem Stuhl saß die kleine Anna, gefesselt und mit einem Taschentuch im Mund.
Die eingerosteten Türen des Frachters standen alle weit offen und viele ließen sich nicht mehr schließen, also hatte Klaus Hilfrich das Kind anbinden müssen. Die kreischenden Geräusche des Metalls, die durch das tote Schiff hallten, machten dem kleinen Mädchen Angst. Außerdem war es kalt hier
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