Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
an, als eine der
Türen aufging und eine Frau in weißem Laborkittel mit einem Jungen in
den Gang trat. Die Schülerin fand, dass der Junge etwas Zerbrechliches
an sich hatte. Irgendwo hatte sie sein Gesicht schon einmal gesehen.
Pater Darius winkte ihn herbei. »Ben! – Ben, komm doch bitte mal her.
Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
Der Gerufene kam zögernd näher und blieb dann vor Catherine und
Darius stehen.
»Ben, das ist Catherine. Catherine, das ist Ben.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Ben.« Sie reichte ihm die Hand.
Doch Ben starrte sie einfach nur an, bis Darius ihm einen Klaps auf die
Schulter gab und mit einem Grinsen sagte: »Mit ihren blonden Haaren
und ihren himmelblauen Augen sieht sie zwar wie ein Engel aus, aber
glaube mir, sie kann eine ganz schöne Teufelin sein.«
Catherine begriff in diesem Augenblick etwas ganz anderes. »Du bist der
Junge mit dem Kreuz auf dem Rücken.«
Ben nickte, ohne auch nur ein Wort herauszubringen, denn vor ihm stand
seine Lebensretterin.
7.
Gegenwart, Oberbayern, Berg über der Abtei Rottach
Der Regen hatte etwas nachgelassen, nicht jedoch der kalte Wind, der
Ben unablässig ins Gesicht fegte. Sein Begleiter, Bruder Andreas, stapfte vor ihm her, als wäre er die Witterung von Kindesbeinen an gewohnt.
Ben warf einen Blick zurück auf die Abtei, die auf ihn eher bedrohlich
als schön wirkte. Seit wie vielen Jahren hatte Darius hier gelebt? Seit
dreien? Wenn er es genauer bedachte, konnte er sich gar nicht vorstellen, dass sein Mentor den gesamten Rest seines Lebens hier hatte verbringen
wollen. Fernab von jeder wissenschaftlichen Forschung, fernab vom
Vatikan und Rom. Ob Ciban deshalb mutmaßte, dass es sich bei Darius’
Tod auch nicht um einen Unfall handeln könnte?
»Dort drüben habe ich Bruder Darius gefunden.« Andreas deutete auf
einen breiteren Felsvorsprung weit unterhalb des Gipfels. »Er lag gleich hier, zwischen dem Geröll. Wären die Krähen nicht gewesen, ich hätte
ihn gar nicht gesehen.«
Vorsichtig kletterte Ben an die Stelle, um Genaueres zu erkennen. Es
war unwahrscheinlich, dass er nach all dem Regen noch eine Spur finden
würde, dennoch konnte die Besichtigung des Fundortes ihm Aufschluss
darüber geben, ob der Pater durch einen Unfall oder Mord ums Leben
gekommen war. Nachdem er Fundort und Aufschlagpunkt ausgiebig
begutachtet hatte, legte er den Kopf in den Nacken und blickte zu der
Stelle hinauf, von der Darius vermutlich hinuntergestürzt war. Etwas
weiter oben gab es einen weiteren Felsvorsprung. Ben starrte fast eine
Minute darauf.
Wie hoch mochte die Absturzstelle über diesem anderen Felsvorsprung
liegen? Fünfzig oder sechzig Meter? Ben war sich sicher, dass Darius bei einem Unfall nie an diesem Vorsprung vorbeigestürzt wäre.
Die Sonne brach durch die Wolkendecke, und es war Ben, als ob er nach
wochenlangem Regen das erste Mal wieder einen Sonnenstrahl sah. Bei
Gott, er war dieses unwirtliche Wetter einfach nicht mehr gewohnt.
Andreas und er stiegen den Berg weiter hinauf, stapften durch Schlamm
und Geröll bis zum Gipfel, als sich auch schon vor ihnen ein
eindrucksvolles Gebilde vom Himmel abhob. Ein riesiges weißes Kreuz
mit einem ebenso eindrucksvollen Betonsockel als Fundament. Ben
schätzte das Ganze etwa fünfzehn Meter hoch.
»Hier hat Bruder Darius oft meditiert«, erklärte Andreas mit einem
ehrfürchtigen Rundblick. »Ich glaube, er hat sich unter Menschen nie
wirklich wohl gefühlt.«
Ben entgegnete nichts. Er wusste, dass der Mönch nicht falscher hätte
mit seiner Annahme liegen können. Darius hatte die Menschen geliebt,
selbst die schlechten. Für nicht wenige war er durch die Hölle gegangen.
So auch für Catherine und ihn. Doch letztendlich hatte jede Gabe ihren
Preis.
Vorsichtig trat er an die Stelle, die der Absturzpunkt sein musste, blickte über das Tal und dann hoch hinauf zur Wolkendecke. Für einen
Augenblick hatte er das Gefühl, einfach davonzuschweben. Er begann zu
begreifen, was den Pater an diesem Ort hoch über der Welt so fasziniert
hatte.
»Seien Sie vorsichtig«, warnte Andreas. »Bruder Darius war ein
erfahrener Wanderer – und nun …« Der Mönch brach ab.
Aber genau das ist es, dachte Ben, ohne es seinem Begleiter zu sagen.
Darius war gesundheitlich fit. Er war ein erfahrener Wanderer und
Kletterer – und nun war er tot. Das ergab einfach keinen Sinn.
Er trat zu einem ungefährlichen Punkt und spähte direkt in die
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