Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
versuchte er ein Lächeln und warf einen Blick auf das
kleine Antennengerät, dessen technologische Funktionsweise ihm ein
völliges Rätsel war. »Stets misstrauisch, mein lieber Marc.« Leo hatte in den letzten Monaten immerhin herausgefunden, dass Ciban ein klein
wenig auftaute, wenn er ihn mit Vornamen anredete.
»Misstrauen gehört zu meiner Stellenbeschreibung, Heiligkeit«,
antwortete der Kardinal, wobei der Blick seiner grauen Augen gelassen
auf dem Störsender ruhte.
Der Papst hatte sich oft gefragt, was sein Vorgänger Innozenz in einem
so strengen, kühlen und gebieterischen Geist wie Ciban wohl gesehen
haben mochte, dass er ihn sogar in den Kreis seiner engsten Vertrauten
aufgenommen hatte. Nach fast zwei Jahren, nach etlichen Sitzungen und
gemeinsamen Mahlzeiten kannte Leo diesen Mann noch immer nicht
besonders gut. Jedenfalls nicht so gut, wie Innozenz ihn wohl gekannt
hatte. Selbst jetzt, in der schlichten Priestersoutane – Ciban trug nur
selten die Kardinalsrobe – wirkte er einschüchternd, ja bedrohlich, als
besäße er die Gabe, die Insignien seiner hohen Geburt, seiner eminenten
Persönlichkeit und der damit verbundenen Macht wie ein unsichtbares
und doch für alle wahrnehmbares Fanal vor sich herzutragen. Leo
wünschte sich, sein Vorgänger hätte ihm mehr über Ciban erzählt oder
sie beide zumindest besser miteinander bekannt gemacht, bevor sich die
Ereignisse mit Innozenz’ Tod überschlugen.
So war Leo mit seinem Amtsbeginn lediglich die offizielle Personalakte
geblieben, um sich etwas genauer über den Kardinal zu informieren.
Doch was sagte eine Personalakte schon über das wahre Wesen eines
Menschen aus? Ciban war Anfang fünfzig und damit der jüngste und
wohl ehrgeizigste Kardinal im Kollegium. Geboren am 7. Februar in
Rom, Augenfarbe graublau, Körpergröße: 194 Zentimeter,
Körpergewicht: 86 Kilogramm. Danach folgte der gesellschaftliche
Status des Elternhauses – oder der Name des Waisenhauses, je nachdem.
Der Clan der Cibans gehörte jedenfalls zu den reichsten Familien
Europas. Hinzu kamen die schulische Ausbildung, das Studium und die
berufliche Karriere. So hatte er in Rom, Paris, Tübingen und London
studiert. Promotion zum Dr. theol. sowie zum Dr. phil. Außerdem ein
Abschluss – und das hatte Leo wirklich erstaunt – in Astrophysik. Das
alles mit ›summa cum laude‹.
Das der Personalakte beigelegte psychologische Profil war in den Augen
des Papstes ein reiner Witz gewesen. Entweder war es total veraltet oder zusammengestückelt aus unterschiedlichen psychologischen
Allgemeinplätzen und Dossiers, oder aber Ciban hatte die Psychologen
allesamt ausgetrickst. So gehörte Gehorsam, nach Leos Eindruck, nur
dann zu Cibans Tugenden, wenn dieser darin einen Vorteil für die Kirche
sah. Auch gab es einige weiße Flecken in seiner beruflichen Laufbahn,
Flecken, die lediglich mit dem Vermerk »Dienstreise« versehen waren.
Inzwischen wusste Leo, dass dieser Begriff in Cibans Fall eine aktive
Mitarbeit im Vatikanischen Geheimdienst verschleierte. Unter Innozenz,
ebenso wie vor seiner Zeit in der Glaubenskongregation, war der
Kardinal des Öfteren auf »Dienstreise« gewesen.
Leo bedachte Ciban mit einem unauffälligen Blick. Dass Misstrauen zu
seiner Stellenbeschreibung gehörte, traf in der Tat sowohl auf seine
Arbeit als auch auf seine Persönlichkeit zu.
Sie aßen frische Brötchen, Eier mit Schinken und tranken dazu Kaffee,
Tee und frisch gepressten Orangensaft, während sie über die aktuellen
Geschehnisse in der Welt und ihre Bedeutung für die katholische Kirche
sprachen. Dabei kamen sie auch auf Schwester Catherine Bell zu
sprechen, deren neuestes kirchenkritisches Buch gerade erschienen war
und, wie Leo nun erfuhr, in der International Herald Tribune ausgiebig und sehr positiv besprochen war, einschließlich eines begleitenden
Artikels über die prominente katholische Autorin.
Ein Foto zeigte Schwester Catherine vor einem historischen Gebäude in
Jerusalem. Sie trug ein schwarzes, langes Kostüm und blickte mit einem
geradezu entwaffnend offenen Lächeln in die Kamera.
»Vielleicht wären ihre Bücher weit weniger erfolgreich, wäre sie nicht so attraktiv«, hatte einer der älteren Kardinäle einmal mit einem süffisanten Lächeln im Beisein Leos zu Ciban gemeint. Der hatte nicht darauf
geantwortet, doch sein Blick hatte jede weitere Bemerkung des Älteren
in dieser Richtung im Keim erstickt.
Gegen Schwester
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