Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
verarbeiten und Entscheidungen darüber zu treffen:
Zwei seiner mentalen Helfer waren tot!
Und jetzt auch noch Pater Darius …
Gleichzeitig stellte Leo sich noch immer die Frage, wie Ciban die
Verbindung zwischen diesen beiden einfachen Kirchenleuten und dem
Geheimnis so schnell hatte herstellen können. Weder Schwester Isabellas
noch Pater Sylvesters Profil enthielt auch nur den geringsten Hinweis auf ihre außergewöhnliche Persönlichkeit. Das Geheimnis wurde zwar seit
Jahrhunderten von Großinquisitor zu Großinquisitor weitergegeben, die
Identitäten der päpstlichen Kongregation jedoch waren nur der
Gemeinschaft und dem geistlichen Oberhaupt der Kirche selbst bekannt.
Wie seine Vorgänger hatte Leo einen heiligen Eid darauf geschworen,
die Namen der anonymen Kongregationsmitglieder niemals
preiszugeben. Unter keinen Umständen. Es sei denn, eines der Mitglieder
war tot. Dieser Schwur war ein essentieller Bestandteil des Kontrakts.
Was geschah, wenn der Schwur verletzt wurde, belegten einige äußerst
düstere Kapitel in der Geschichte der Kirche. Dann war der höchste aller Himmel nicht mehr göttliches Licht, sondern schiere Dunkelheit.
Natürlich waren die Namen das Erste gewesen, wonach Kardinal Ciban
gefragt hatte, als er den Tod Schwester Isabellas und jenen Pater
Sylvesters mit der Schutzgemeinschaft in Verbindung gebracht hatte.
»Heiligkeit, ich brauche dringend die Namen und Aufenthaltsorte der
Lebenden, wenn ich weitere Morde verhindern soll. Die Namen der
Toten nutzen mir nichts!«
»Es tut mir leid, Marc. Aber die Namen der Toten sind alles, was ich
Ihnen geben kann.«
Leo hatte die Auskunft verweigert. Es war eine der schwersten
Prüfungen überhaupt gewesen. So gerne er seinem Sicherheitschef auch
geholfen hätte, er durfte es nicht tun. Aber Ciban wäre nicht Ciban
gewesen, wenn er so schnell aufgegeben hätte. Dann mitten in dieser
unglückseligen Besprechung hatte Leo einen weiteren Schwächeanfall
erlitten. Nie würde er den Blick des sonst so stoischen Kardinals
vergessen, als er diesem verbot, nach dem Arzt zu rufen.
Einen halben Tag später war die Nachricht von Darius’ Tod eingetroffen.
Ciban hatte unverzüglich einen seiner besten Mitarbeiter nach Rottach,
einer Abtei im Süden Deutschlands, entsandt, einen jungen Amerikaner
irischer Abstammung mit dem Namen Benjamin Hawlett.
Nun wartete Leo auf das Ergebnis dieser Ermittlungen.
Er seufzte, nahm Cibans Bericht und verwahrte ihn in dem kleinen
Wandtresor. Dann verließ er das Schlafgemach, um sich mit wenigen
Schritten in das nahe gelegene Speisezimmer zu begeben. Meist
frühstückte Leo gemeinsam mit seinen beiden Sekretären, Corrado
Massini und Karl Ritter, der gerade auf Urlaub in Schottland war.
Sonntags frühstückte er zusätzlich in Rotation mit einigen der
dienstbaren Nonnen, die sich tagein, tagaus um den päpstlichen Haushalt
kümmerten. Heute war der große Esstisch für zwei weitere Personen
gedeckt: Marc Abott Kardinal Ciban und Monsignore Ben Hawlett.
Doch Hawlett war noch nicht aus Deutschland zurück.
Als der Papst den Raum betrat, stand Ciban am unteren Ende des Tisches
und las einen Artikel in der International Herald Tribune , einer der lokalen und internationalen Morgenzeitungen, die Leo abonniert hatte,
um in Sachen Presse auf dem Laufenden zu sein. Der Artikel schien den
Kardinal sehr zu beschäftigen. Massini unterbrach seine Unterhaltung
mit einer der Nonnen und begrüßte den Papst. Ciban legte die Zeitung
sorgfältig zu den anderen zurück, grüßte ebenfalls und nahm mit Leo am
Tisch Platz. Sie senkten die Köpfe in stillem Gebet, bis eine der
Schwestern mit Kaffee und Tee ins Zimmer trat.
»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht, Heiligkeit.« Es lag
keinerlei Hohn oder Spott in der Stimme des Kardinals. Es schien, als
habe er Leos Weigerung, die Namen preiszugeben, als unabänderlich
akzeptiert. Er zog ein kugelschreiberartiges, mit winzigen Fühlern
bewehrtes Gerät aus der Jackentasche und platzierte es mitten auf dem
Esstisch. Der Störsender würde verhindern, dass auch nur eine einzige
Silbe auf elektronischem Wege aus diesem Raum gelangte.
»Ich schätze, keiner von uns hat heute Nacht besonders gut geschlafen«,
antwortete Leo, in dem Bewusstsein, dass ein Mann wie Ciban, mit all
seinen inquisitorischen und kriminalistischen Fällen im Kopf, ohnehin
nie angenehm schlafen konnte. Er reichte den üppig gefüllten Brotkorb
herum. Dann
Weitere Kostenlose Bücher