Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
des
Weges hielt sie inne. Bis hierhin und nicht weiter, wenn sie die Kontrolle nicht verlieren wollte. Aus dieser Distanz hatte sie zwar nicht die beste Sicht – noch immer lagen viele Schleier zwischen ihr und der Ebene der
Auren –, doch es war besser als nichts.
Sie blickte zu dem Tisch, an dem der Papst mit seinen Kardinälen saß.
Alles wirkte wie in eine merkwürdig verschärfte Atmosphäre getaucht,
fast als blickte man durch ein Nachtsichtgerät, selbst von den Möbeln
schien leise knisternde Strahlung auszugehen. Catherine fühlte sich an
die bizarre Fotogalerie des Projektes »Corona« im Institut erinnert, die sie als Kind gesehen hatte. Nur war diese verdeckte Sondierung nicht
annähernd so farbenprächtig.
Leos Aura war von einem milden Blau und Weiß, soweit Catherine das
erkennen konnte. Montis Körper war eingehüllt in ein rotes Licht, mit
schwachen gelben und orangefarbenen Anteilen, eine sehr egozentrische,
starke Aura. Um Ricardo tobten kleinere farbenprächtige Lichtgewitter,
in denen alle Farbanteile enthalten waren, während Gasperettis Aura wie
die eines Tigers wirkte, der jederzeit bereit war anzugreifen. Sie fragte sich, warum der Kardinal so auf der Lauer lag. Aber vermutlich hatte ihr genau das solche Angst gemacht, und sie hatte es voll und ganz auf sich
bezogen.
Sie blickte zu Ciban hinüber – und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass der Stuhl, auf dem der Kardinal eben noch gesessen hatte, leer war.
»Ziehen Sie sich vorsichtig zurück, Schwester, bevor Kardinal Gasperetti Ihre Sondierung noch bemerkt.« Cibans Stimme war kaum mehr als ein
Flüstern an ihrem Ohr, dabei aber von Ehrfurcht gebietender Macht
erfüllt. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war er neben sie getreten und
hatte sich selbst am Büfett bedient. »Für ihn ist das ganze Leben ein
Kampf. Er ist einer der führenden Köpfe des Lux, und er kennt Ihre Akte
sehr genau, ganz zu schweigen von Ihrer mentalen Ausstrahlung.«
Catherine hielt für einen Augenblick den Atem an. Wie hatte Ciban ihre
behutsame Sondierung registrieren können? Verfügte er etwa doch über
eine mediale Wahrnehmung? Es erschien ihr immer wahrscheinlicher,
dass auch er ein Geschöpf der Institute des Lux war.
Abgeschirmt von dem Präfekten zog sie sich Schleier für Schleier aus
der Sondierung zurück. Als sie sich wieder halbwegs gefangen und die
Lage unter Kontrolle hatte, fragte Ciban gut hörbar und lebhaft, welches Obst sie ihm denn als Nachtisch empfehlen könne. Sie riet ihm zu den
Früchten von einer der römischen Plantagen, da sie absolut frisch
geerntet waren und vollmundig schmeckten. Ciban bedankte sich,
bedachte sie noch einmal kurz mit einem sowohl mahnenden als auch
beruhigenden Blick und kehrte zu seinem Platz an der Tafel des Papstes
zurück.
Erst später, als Catherine längst in ihrem Zimmer war, dämmerte ihr,
dass der Kardinal sie womöglich nicht nur vor einer peinlichen
Enttarnung bewahrt, sondern sich vor allem selbst auf eine sehr elegante Weise ihrer Sondierung entzogen hatte. Nun gab es für sie so gut wie
keinen Zweifel mehr, auch er war ein Medialer.
Und noch etwas wurde ihr klar: Ciban wusste praktisch alles über sie,
während sie über ihn so gut wie überhaupt nicht informiert war. Sie
konnte nicht gerade behaupten, dass ihr das gefiel. Natürlich schossen ihr mehrere Geschichten im Zusammenhang mit dem Präfekten durch den
Kopf, aber das waren eben nur Geschichten, wie sie überall in Rom und
im Vatikan kursierten. Was die Presse schrieb, war ohnehin mit Vorsicht
zu genießen.
Alles, was sie mit Sicherheit über Ciban sagen konnte, war, dass Seine
Heiligkeit ihm vertraute. Aber was für sie inzwischen viel wichtiger war: Hatte Benelli dem Präfekten vertraut? Was hatte der alte weißhaarige
Kardinal gemeint, als er auf dem Empfang zu ihr und Ciban gesagt hatte:
»Letztendlich ist es nicht der Verstand, sondern das Herz, das
seinesgleichen eint, nicht wahr?«
Sie seufzte, da sie im Augenblick ohnehin keine Ahnung hatte, was sie
hätte denken sollen. Irgendwo hatte sie das Gefühl, dass das Schicksal
sie durch Benellis Eingreifen mehr als herausforderte und dass sie von
Anfang an nicht das Geringste dagegen hätte tun können.
Catherine stand auf, ging zum Schreibtisch und griff nach ihrem Handy,
um nach eventuellen Mitteilungen zu sehen.
Zu ihrer Freude entdeckte sie im Posteingang eine SMS von Ben.
56.
DeRossi ließ den Rechner einfach an, eilte aus
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