Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
archivierten privaten Nachrichten
durch. Catherine hatte ihm geschrieben, die Mail war erst wenige
Stunden alt. Sie hatte weitere ›Träume‹ gehabt. Zum Schluss berichtete
sie etwas, das Ben nach Luft schnappen ließ. Kardinal Benelli habe ihr
Das Buch der Taten gezeigt!
Sofort machte es in Bens Kopf klick. Darius’ Bibel! Das Evangelium des
Lukas wurde auch Apostelgeschichte oder Das Buch der Taten genannt!
Er sah auf die Uhr. Mist! Um diese Zeit hatte er wohl kaum eine Chance,
Catherine im Apostolischen Palast zu sprechen. Im Geiste ging er eine
Reihe von möglichen Treffpunkten durch, die nicht außerhalb der
Grundmauern des Vatikans lagen. Am besten, sie trafen sich heute
Abend am Petrusgrab. Er schickte ihr eine SMS. Nun würde er warten
müssen, bis er mit Catherine gesprochen hatte. Alles andere war im
Augenblick viel zu riskant. Er wusste ja nicht einmal mehr, ob er Ciban
noch vertrauen konnte.
55.
Catherine hatte in der Nacht kaum geschlafen, die Träume hatten ihr
kaum zwei Stunden Ruhe gegönnt. Wie es aussah, kämpften sich die
Reminiszenzen aus Benellis Geist, die mit der Energieübertragung
irgendwie auf sie übergegangen waren, mehr und mehr aus ihrem
Unterbewusstsein hervor. Wieder hatte sie fragmentarisch von dem
Gesalbten und den zwölf Jüngern geträumt, meist sogar im
Wachzustand. Was immer der tote Kardinal mit ihr getan hatte, damit sie
den Papst stärken konnte, hatte zur Folge, dass sie Dinge sah, die sie
nicht einzuordnen vermochte, die sie verwirrten. Die Jünger in ihren
Visionen waren andere Mächte als jene, die sie aus der Bibel kannte.
Was hatte eigentlich dieses rote Buch in dem Stahlschrank, das Benelli
ihr nun schon dreimal gezeigt hatte, mit ihrer Mission zu tun?
Als sie ihren Dienst im päpstlichen Haushalt antrat – zuvor hatte sie
Schwester Thea, in den frühen Morgenstunden in ein schwarzes
Kapuzengewand gekleidet, in den vatikanischen Gärten getroffen –,
erfuhr sie dank einer ihrer Mitschwestern von dem überraschend
einberufenen Treffen zwischen Papst Leo und einigen Kurienkardinälen
im päpstlichen Speisezimmer. Einige der Nonnen bereiteten den
Vormittag über ein reichhaltiges französisches Mahl zu und sorgten für
die entsprechende Getränkeauswahl bei Tisch. Gerade als Catherine sich
nach getaner Arbeit zurückziehen wollte, bat Leo sie, bei dem Treffen
zugegen zu sein, getarnt als eine der dienstbaren Nonnen, die das Essen
auftrugen und darauf achteten, dass die leichten sowie die etwas
schwereren Getränke nicht ausgingen. Der Papst war sich sicher, dass
ihre Nähe ihm bei dem bevorstehenden Treffen guttun würde. Noch
steckte ihm der Schock des letzten Zusammenbruchs tief in den
Knochen, dabei durfte er als Kirchenoberhaupt nicht die geringste
Schwäche zeigen.
Kardinal Ricardo, der Chef der Vatikanbank, war der Erste, der im
päpstlichen Wohnbereich erschien. Danach kamen die Kardinäle
Gasperetti und Monti, denen Catherine bereits auf dem Empfang in der
Benelli-Villa begegnet war. Unmittelbar bevor das Essen serviert wurde,
traf Kardinal Ciban ein. Er wechselte mit Catherine einen kurzen,
unauffälligen Blick, in dem ein Hauch von Überraschung lag, und nahm
dann mit den anderen Kardinälen und Leo am Tisch Platz.
Es war das erste – und vermutlich auch das letzte – Mal, dass Catherine
Zeugin eines solch geheimen Konsistoriums wurde. Sie würde an diesem Mittag vermutlich Dinge zu hören bekommen, von denen kein
Außenstehender jemals erfahren würde. Im Grunde musste dieser
Umstand Ciban in ihrem Falle äußerste Sorge bereiten. Die anderen
Kardinäle nahmen von ihr und der anderen Schwester, die ebenfalls
servierte, keinerlei Notiz. Niemand schien sie in ihrer üppigen
Verkleidung mit der dicken Brille zu erkennen.
Nach dem Gebet aßen die Kardinäle gemeinsam mit dem Papst. Es kam
Catherine vor, als handelte es sich um eine Gemeinschaft, die sich schon lange kannte und die es während des Gesprächs über die hohe
vatikanische Politik nicht mehr nötig hatte, irgendwelche Spielchen zu
spielen. Vor allem Gasperetti und Monti legten ihre politischen
Ansichten als Gegengewicht zu Leos Perspektive höflich, aber bestimmt
auf den Tisch. Nach außen hin schien es keinerlei Feindseligkeiten in
dieser Runde zu geben, auch wenn Catherine eine gewisse Anspannung
durchaus spürte.
»Im Interesse der Kirche sollten wir mit solchen Äußerungen vorsichtig
sein«, sagte Gasperetti und wandte sich
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