Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Verrat an Jesus im Garten Getsemani, von der
Kreuzigung und Wiederauferstehung und davon, dass sich ihr Sylvester,
Isabella, Darius und Silvia in Jerusalem und Galiläa in der Gestalt der
Apostel gezeigt hatten. All dies hatte sie bisher für sich behalten, doch jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus, als wäre ein Damm
gebrochen. Nachdem sie geendet hatte, war es einen langen Moment
still, so dass sie sich fragte, ob Ben an ihrem Verstand zu zweifeln
begann. Sie wusste selbst, wie verrückt das alles klang, doch nicht
zuletzt hatte sie all diese Visionen, diese religiösen Erscheinungen erlebt, als wären sie wahrhaftigste, gegenwärtigste Realität.
»Hast du irgendwelche Aufzeichnungen darüber gemacht?«, fragte Ben
schließlich ruhig.
»Gott bewahre, nein.« Fast hätte Catherine noch hinzugefügt: Bin ich des Wahnsinns! »Warum sollte ich das tun? Um der römischen Inquisition
noch mehr Munition gegen mich zu liefern?«
»Deine Visionen könnten von großer Bedeutung sein. Hast du daran
schon einmal gedacht? Du solltest sie unbedingt dokumentieren.
Kardinal Benelli war ganz offensichtlich alles andere als ein
Durchschnittskleriker. Ganz zu schweigen von Darius und den anderen.
Erzähle mir von deinem Traum mit dem Buch der Taten .«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, erklärte Catherine und versuchte sich wieder zu beruhigen. »Im Grunde ist es jedes Mal der gleiche Traum.
Benelli steht im ›Turm der Winde‹ vor einem großen Stahlschrank,
öffnet ihn und zeigt mir dieses rote Buch.« Sie hatte den Traum,
eigentlich mehr eine Vision, inzwischen dreimal gehabt.
»Du kennst den Inhalt?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Alles, was ich zu Gesicht bekomme, ist
der Titel. Mehr nicht. Kurz darauf höre ich ein Geräusch an der Tür, und der Traum hört auf.«
Ben dachte einen Moment nach, dann griff er nach seiner Tasche, holte
ein Buch hervor und legte es vor Catherine auf die Bank. Ihre Augen
wurden groß. War das nicht Darius’ Bibel?
»Du erkennst sie wieder?«, fragte er.
»Aber natürlich«, antwortete sie bewegt. »Darius hat sie dir versprochen, als du noch ein Junge warst.« Sie nahm das Buch in die Hand und strich
andächtig darüber. »Ich weiß noch sehr genau, wie deine Augen daran
geklebt haben.«
Ben griff ein weiteres Mal in seine Tasche und legte ein identisches
Exemplar der Heiligen Schrift daneben. »Diese Ausgabe hat Schwester
Silvia gehört«, erklärte er atemlos. Er spürte förmlich, wie Catherine den Atem anhielt. »Und jetzt kommt es.« Er schlug in beiden Bibeln die
Apostelgeschichte auf. »Schau dir diese Seiten bitte einmal etwas
genauer an.«
Sie kniete sich vor die Bank und legte die beiden Bibeln aufgeschlagen
vor sich hin. Dann blätterte sie die Apostelgeschichte durch. Nach
einigem Hin- und Herblättern wurde ihr klar, dass die Markierungen in
den beiden Bibeln nahezu identisch waren. Auf einmal begann sie zu
begreifen und blickte nachdenklich zu Ben auf. »Du denkst, dass Pater
Sylvester und Schwester Isabella eine ähnliche Bibel besessen haben?«
Er nickte. »Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen. – Du weißt, wie
man die Apostelgeschichte noch nennt?«
Catherine dachte kurz nach, dann riss sie die Augen auf. »Mein Gott.
Das Buch der Taten !«
Ben zwinkerte und nickte. »Kardinal Benelli wollte vermutlich, dass du
dir dieses Buch genauer ansiehst.«
Catherine schickte sich an, die Apostelgeschichte noch einmal zu
studieren, doch nach einigen Minuten hielt sie unvermittelt inne und
erklärte: »Das ergibt keinen Sinn.«
Ben blickte sie fragend an.
»Kaum etwas, das in der Apostelgeschichte des Lukas steht«, erklärte sie weiter, »hat mit meinen Visionen zu tun. Genau genommen kommen
meine Visionen darin gar nicht vor.«
»Und das bedeutet?«, hakte Ben nach, der sehen konnte, wie Catherine
über des Rätsels Lösung nachdachte.
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Kardinal Benelli
wollte überhaupt nicht, dass wir uns diese Version der Apostelgeschichte anschauen, sondern jene, die im ›Turm der Winde‹ aufbewahrt wird.«
»Du denkst, die Version dort ist mit dieser hier nicht identisch?«
»Ich bin mir sicher, die beiden Bibeln belegen, dass Silvia und Darius
irgendwie miteinander in Verbindung standen, aber es sind nicht alleine
die Markierungen, die uns den eigentlichen Hintergrund dieser
Verbindung aufzeigen werden.«
Ben konnte beobachten, wie hinter Catherines Augen
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