Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
an Ciban, um mit leisem Spott
hinzuzufügen: »Sie haben bisher noch nicht viel gesagt, Marc. Oder
haben wir uns in Ihren Augen schon um Kopf und Kragen geredet?«
»Wir sollten das Kind nicht gleich mit dem Bad ausschütten, Steffano.
Die Liste der Übel, mit denen unsere Kirche zu kämpfen hat, ist mir
wohlvertraut, einschließlich der alten und vieler neuer Tyranneien.«
»Höre ich da etwa Meuterei?«, sagte Kardinal Ricardo mit einem
schelmischen Grinsen. »Das passt so gar nicht zu Ihrem Stil.«
»In welcher Hinsicht, Leonardo?«
»In jeder Hinsicht, wenn Sie mich so fragen.«
Ciban lachte, und es war ein durchaus sympathisches Lachen. »Eins zu
null für Sie. Gibt es irgendeine Möglichkeit für mich, Ihrem Urteil zu
entrinnen?«
»Nun denn, ich hege keinen Zweifel daran, dass Sie diese Möglichkeit
bereits sehen.«
Catherine ging um den Tisch herum und schenkte Wein nach. Als sie
Kardinal Montis Glas auffüllte, fragte dieser sie überraschend: »Und,
was halten Sie von alldem, Schwester?«
Es gelang ihr gerade noch, den Wein nicht über das Gewand des
Kardinals zu schütten. Schon auf dem Empfang hatte sie seine
Gegenwart als höchst unangenehm empfunden. Mit verstellter Stimme,
eine halbe Tonlage tiefer, antwortete sie: »Verzeihen Sie, aber ich
verstehe nichts von Politik, Eminenz. Diese Welt ist mir gänzlich
fremd.«
Monti akzeptierte ihre Antwort mit einem großzügigen Lächeln, doch er
ließ nicht von ihr ab. »Sie müssen neu sein, Schwester. Ich kann mich
nicht erinnern, Sie schon einmal im päpstlichen Haushalt gesehen zu
haben. Woher kommen Sie?«
»Aus Maine«, antwortete Catherine und ging weiter zu Gasperetti, um
dessen Weinglas aufzufüllen. Als Kind hatte sie eine Weile in Maine bei
Verwandten gelebt, als ihre Mutter wegen einer langwierigen Operation
ins Krankenhaus gemusst hatte. Damals hatte sie noch nichts von Darius
und der Existenz des Institutes gewusst.
Gasperetti sagte: »Ich habe meinen letzten Urlaub in Maine verbracht.
Eine herrliche Gegend.«
»Oh ja, ganz bestimmt, Eminenz.« Obwohl Gasperetti gelassen und
freundlich wirkte, löste seine Nähe ein ziemlich starkes Unbehagen in
Catherine aus. Oder lag dieses ungute Gefühl einfach nur darin
begründet, dass er so völlig unerwartet auf ihre Antwort einging? »Vor
allem im Herbst.«
Gasperetti nickte. »Das stimmt. Der Indian Summer in Neuengland ist
mit das Schönste, was ich je erlebt habe. Und ich versichere Ihnen, ich
habe schon einiges in meinem langen Leben gesehen.«
Catherine trat von einem Bein aufs andere. Es konnte gut sein, dass
Gasperetti ihr die Maine-Geschichte gar nicht abkaufte. Andererseits,
warum hätte er ihre Worte anzweifeln sollen? »Wenn Sie mich jetzt bitte
entschuldigen wollen. Das Büfett …«
»Natürlich, Schwester«, erklärte der Kardinal ruhig. »Wir wollten Sie
nicht in Verlegenheit bringen. Verzeihen Sie unsere Neugierde.«
Catherine akzeptierte die Entschuldigung mit einem stummen Nicken
und eilte mit Herzklopfen zum Büfett zurück, wo sie so tat, als ob sie
ihrer Mitschwester zu Hilfe käme, indem sie aufräumte und nach dem
Rechten sah. Tatsächlich hatte sie mit unerklärlichen Angstzuständen zu
kämpfen, fast wie bei der Begegnung mit Monsignore deRossi vor der
Kapelle in Benellis Villa.
Nachdem sie ihre Arbeit am Büfett beendet hatte und sich wieder zu dem
großen Esstisch umdrehte, spielte sie einen Augenblick mit dem
Gedanken, ihre Gabe einzusetzen, um die Auren der Anwesenden zu
sehen. Doch es hätte sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu viel Energie
gekostet, sich im Anschluss daran wieder gegen ihre Ausstrahlungen
abzuschirmen. Den mentalen Schutzschild fallen zu lassen war einfach,
es war, wie wenn man Wasser einen hohen Berg hinunterstürzen ließ,
den Schutzschild wiederaufzubauen, bedurfte dagegen enorm viel Kraft.
Catherine hatte den Schild nicht mehr fallen lassen, seit sie dem Lux den Rücken zugekehrt hatte. Und sie hatte es nicht einen Tag bereut.
Aber vielleicht gelang es ihr ja doch, einen ganz kurzen, unauffälligen
Blick durch den Schild zu riskieren?
Vorsichtig tastete sie sich durch eine ganze Reihe von Schutzschleiern,
die sie umgaben, Schritt für Schritt. Mit jedem Schleier, den sie hinter sich ließ, trat sie ein Stück weiter in die mentale Wirklichkeit hinein.
Manchmal erschien es ihr wie ein Inferno aus Heiß und Kalt, oder nein,
eher wie ein Nebelwirbel aus Finsternis und Licht. Auf der Hälfte
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