Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
einem auf
dem Dach installierten Wetterhahn verbunden war.
Ben ging einige Regalwände entlang und steuerte auf zwei Stahlschränke
zu, die derart blank poliert waren, dass sie das Ambiente des Raums so
exakt reflektierten, dass sie dadurch beinahe unsichtbar wirkten.
Hoffnungsvoll drehte er sich zu Catherine um. »Welcher ist es?«
Die junge Frau zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Ich
habe immer nur einen Stahlschrank gesehen. Wir müssen es einfach
ausprobieren.« Sie griff in ihr Nonnengewand und holte Benellis
Schlüssel hervor. Dann trat sie zum ersten Schrank, steckte den Schlüssel ins Schloss und versuchte ihn aufzuschließen. »Der ist es schon mal
nicht. Also der nächste.« Nach dem zweiten Schrank mussten sie
überrascht feststellen, dass es keiner von beiden war.
»Seltsam«, meinte Catherine mit gerunzelter Stirn. »Bisher waren
Benellis Anweisungen noch nicht ein einziges Mal falsch.«
»Aber es waren Visionen. Und Visionen sind alles andere als präzise
Dokumentationen. Vielleicht hast du den Ort falsch interpretiert? Hier im Archiv gibt es eine Menge Stahlschränke. Vielleicht hat der Kardinal
aber auch das Archiv der Engelsburg gemeint?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Nein, Ben. Es war hier. Im ›Turm der
Winde‹. Da bin ich mir ganz sicher. Gib mir bitte einen Moment Zeit.«
Sie schloss die Augen, rief sich die Vision in Erinnerung und überlegte
eine ganze Weile schweigend. Ben gab keinen Mucks von sich. »Es gibt
nur eine Erklärung«, sagte sie schließlich.
»Und die wäre?«
»Irgendwo hier steht noch ein Stahlschrank.«
»Also gut«, sagte Ben ohne große Hoffnung auf Erfolg. »Machen wir
uns auf die Suche.«
Sie gingen mit ihren Taschenlampen die Regalwände entlang, leuchteten
in jede Reihe hinein. Catherine fühlte sich fast schon in das
Brüder-Grimm-Märchen Hänsel und Gretel versetzt, nur dass sie keine Brotkrumen dabeihatten. Wo nur konnte sich Benellis Stahlschrank
befinden? Und warum gab es im ›Turm der Winde‹ kein elektrisches
Licht? Sie fragte Ben, der ihr erklärte, dass dies aus gutem Grund so sei, denn so verriet schon der unbedeutendste Lichtschimmer, ob sich ein
unbefugter Besucher in dem Turm aufhielt oder ob dort ein Feuer
ausgebrochen war.
»Hier gibt es keinen weiteren Stahlschrank«, sagte Ben schließlich.
»Aber vielleicht eine Ebene tiefer.«
Sie kehrten zum Ausgang zurück und klopften an die schwere Eichentür.
Dominico öffnete ihnen und geleitete sie zu dem unter der Camera
Meridiani gelegenen Raum, vor dem er wieder geduldig wartete.
Catherine konnte nicht erklären, wieso, aber als sie den düsteren
quadratischen Raum betrat, wusste sie sofort, dass sie hier richtig waren.
Sie gingen einen äußerst schmalen Gang zwischen den mit dicken
Folianten vollgestellten Regalen entlang, der am Ende einen scharfen
Knick nach rechts machte, und plötzlich standen sie unversehens vor
dem Stahlschrank, den Catherine in ihrer Vision gesehen hatte.
Sie trat vor, steckte Benellis Schlüssel in das Schloss, drehte ihn um –
und es machte klick.
Ben zog die schwere Tür auf. Etliche Akten lagen darin, aber kein rotes
Buch. Dafür erblickten sie im mittleren Regal, das ansonsten leer war,
eine Stahlkassette. »Ich fürchte, wir brauchen einen zweiten Schlüssel«, sagte er.
Catherine, die ebenfalls auf die Kassette starrte, war zwischen
Faszination und Enttäuschung hin- und hergerissen. Letztere hatte
Benelli ihr nicht gezeigt. Was sollten sie jetzt tun? Pater Dominico um
ein Brecheisen bitten? Das war doch lächerlich! Da standen sie nun vor
dem offenen Stahlschrank und kamen nicht an das Buch heran!
Ohne dass es ihr bewusst wurde, fing sie an, in dem kleinen, schmalen
Gang auf und ab zu gehen. In der nur durch die Taschenlampen erhellten
Dunkelheit konnte sie kaum ausmachen, was in den Regalen um sie
herum gelagert war. Aber im Augenblick interessierte sie das auch gar
nicht. Hatte der Kardinal in der Vision nur vergessen, die Stahlkassette zu erwähnen? Ach, wenn Benelli sich doch bloß klarer ausgedrückt
hätte.
Ben lehnte sich an eines der Regale und ließ sie geduldig gewähren.
Irgendwo schien er trotz dieses Rückschlags ein solides Gottvertrauen in ihre Mission zu haben.
Catherine blieb vor dem Stahlschrank stehen. Wenn Benelli ihr nur
diesen einen Schlüssel gegeben hatte, dann hatte dies womöglich einen
guten Grund. Doch welchen? Befand sich das Buch etwa gar nicht in
Weitere Kostenlose Bücher