Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
nicht nur ein Licht,
sondern eine ganze Festbeleuchtung aufzugehen schien. Was er nicht
sehen konnte: Seine Begleiterin erinnerte sich nun wieder an das kleine
Päckchen, das Benelli ihr, direkt nach dem Empfang in der Villa, in
ihrem Hotel hatte zukommen lassen. Sie sagte: »Dieser Stahlschrank,
den ich in meinen Träumen gesehen habe …«
»In dem Benelli Das Buch der Taten aufbewahrt?«
Catherine nickte vielsagend. »Ich denke, ich habe den Schlüssel dazu!«
58.
Monsignore deRossi blickte auf die digitale Wanduhr in seinem Büro.
Vor wenigen Minuten hatte er das letzte Blatt Papier der Unterlagen über Schwester Thea durch den Aktenvernichter gejagt.
Noch eine halbe Stunde und er würde die Leiterin des vatikanischen
Internetbüros, sobald sie das Gebäude von Radio Vatikan in den Gärten
passiert hatte, auf ihrem Weg zur Grotta di Lourdes abfangen. Er hoffte, dass der leichte Regen, der zwischenzeitlich eingesetzt hatte, die
Ordensfrau nicht davon abhalten würde, ihren rituellen Spaziergang
durchzuführen. Gewohnheiten, Rituale … wie sehr das menschliche
Wohlbefinden doch von ihnen abhing und wie sehr diese Abhängigkeit
deRossis Arbeit erleichterte.
Da er früher selbst in den Archiven gearbeitet hatte, trug er die einfache schwarze Robe eines Archivars. Niemand würde ihm größere
Aufmerksamkeit schenken, wenn er bei diesem Wetter mit aufgesetzter
Kapuze durch die regennassen Gärten streifte. Nicht einmal Schwester
Thea.
Er überprüfte noch einmal den Inhalt des Aktenvernichters, um sich
davon zu überzeugen, dass von den Unterlagen tatsächlich nur noch
Konfetti übrig geblieben war. Dann machte er sich auf den Weg, nahm
eine der selten benutzten Treppen im päpstlichen Palast, eilte hinunter zu den Tiefgaragen und folgte einem der geheimen Gänge, die unter den
vatikanischen Gärten entlangliefen. Als er in der Nähe des
Hubschrauberlandeplatzes wieder aus dem Untergrund auftauchte, lag
über der Szenerie eine fast surrealistisch anmutende Stille. Selbst die
Geräuschkulisse des ewigen Roms schien weit entfernt und wie in Watte
getaucht.
DeRossi schlug die Kapuze über den Kopf und ging auf die künstliche
Nachbildung der Lourdes-Höhle zu, wo an der Stelle der
Marienerscheinung eine Madonnenfigur die Stätte zierte.
Während er nahezu unsichtbar in der Nähe der Grotta wartete, ging ihm
gegen seinen Willen die Begegnung mit Schwester Silvia durch den
Kopf. Das Bild ihres schlafenden Körpers, umgeben von einem Meer
von Kerzen. Noch einmal schien er ihre geisterhafte Berührung zu
spüren.
Ihr Verzeihen.
Sein Atem beschleunigte sich, sein Herz begann zu hämmern wie in
jener Nacht im Untergrund der kleinen, verhexten Kirche in Kalkutta.
Nein. Er durfte auf gar keinen Fall zulassen, dass Silvia zwischen ihn
und Schwester Thea trat. Sie würde keinen weiteren Schaden in ihm
anrichten. Seine Mission nicht verhindern!
Er starrte auf die Marienstatue und bekreuzigte sich. Thea hatte ihr
Leben verwirkt, und das schon lange, bevor er in den Dienst des Meisters getreten war. Er würde die Kirche von dieser Frau befreien!
59.
Es war schon viele Jahre her, seit Catherine die Geheimarchive des
Vatikans als Studentin hatte betreten dürfen. Natürlich hatte sie damals nicht die wirklich unzugänglichen Bereiche betreten, nichtsdestotrotz
war sie in jenen Tagen in Areale vorgedrungen, deren Zutritt den meisten Menschen ihr ganzes Leben lang verwehrt blieb. In den Geheimarchiven
wurden bis zu zwölfhundert Jahre alte, vom Heiligen Stuhl promulgierte Gesetze und die diplomatische Korrespondenz des Vatikans aufbewahrt,
ebenso die Akten der Inquisition. Das Archiv umfasste bis zu
fünfundachtzig Regalkilometer mit Kostbarkeiten wie etwa den Briefen
von Michelangelo, die Bannbulle Martin Luthers oder die Prozessakten
gegen Galileo Galilei.
Die uralten Regale, die Ben und sie nun passierten, reichten bis zur
Decke. Hin und wieder begegnete ihnen einer der Archivmitarbeiter,
doch da sie Ben Hawlet kannten und wussten, dass er das Vertrauen
Cibans genoss, kümmerten sie sich nicht weiter um ihn und seine
Begleiterin.
Catherine folgte Ben durch mehrere lange, dunkle Flure, deren Regale
Zigtausende Bände enthielten. Während sie die deckenhohen Reihen
passierten, schalteten sich über ihnen automatisch Lampen ein und
wieder aus. Der leichte Modergeruch, der von den jahrhundertealten
Pergamenten, Akten und Büchern ausging, stieg ihr in die Nase. Auf
vielen
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