Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
der gebundenen Bücher erkannte Catherine die roten Wappen der
Päpste.
»Du kennst dich hier gut aus«, sagte sie zu Ben.
Er zuckte mit den Achseln. »Nicht annähernd so gut, wie ich es gerne
täte. Pater Dominico kennt das Archiv sehr gut, und auch Kardinal Ciban
verbringt hier einiges an Zeit. Ich habe viel von ihnen gelernt, aber noch lange nicht genug.«
Dann erzählte er ihr vom ›Turm der Winde‹, der nahe dem Petersdom
lag. Catherine kannte die fünfhundert Jahre alte Geschichte zwar schon,
hörte ihm aber gerne noch einmal zu. Die Geschichte des Turms ging bis
auf Papst Gregor XIII. zurück, der ein nahe gelegenes Observatorium für
seine Himmelsbeobachtungen und seine Kalenderreform benötigt hatte.
Aufgrund von Papst Gregors Sternbeobachtungen und Berechnungen
wurde schließlich der gregorianische Kalender mit seinen bis auf den
heutigen Tag geltenden Schaltjahren eingeführt.
Momentan beherbergte der Turm jahrhundertealte politische und
spirituelle Geheimnisse, genauer jenen Teil des vatikanischen
Geheimarchivs, der so gut wie noch nicht erforscht und ebenso wenig
katalogisiert war. Nur der Papst und einige wenige Kardinäle hatten zu
dem über eine schmale Treppe zugänglichen Archiv Zutritt. Seit knapp
vier Monaten gehörte auch Ben zu ihnen, weil Ciban im Rahmen so
manch verborgener Ermittlungsarbeit dafür Sorge getragen hatte.
Catherine erinnerte sich, gehört zu haben, dass der quadratische Turm
vor allem Informationen hütete, die nur von Papst zu Papst
weitergegeben wurden. Darius hatte ihr einmal anvertraut, in Wahrheit
hüte der Turm auch Mysterien, von denen viele Heiligkeiten nie auch nur
das Geringste erfahren hatten. Manche davon gingen nur von
Großinquisitor zu Großinquisitor.
Nachdem sie weitere lange und düstere Flure entlang Tausender dicker
Bände auf Metallregalen passiert hatten, betraten sie einen Raum, der
mehr einem Gelehrtenzimmer glich als dem Büro des Stellvertreters des
Präfekten in den Archiven. Der alte Pater, der sich vom Schreibtisch
erhob, musste Dominico sein. Fast bis zur Karikatur glich er den
Archivmäusen, die Catherine von diversen Internet-Cartoons her kannte.
Vermutlich hatte Dominicos Äußeres für diese Zeichnungen sogar als
Vorlage gedient. Nicht wenige der in Umlauf befindlichen
Vatikan-Cartoons hatte Schwester Thea in ihrer Freizeit unter
Pseudonym geschaffen, wie Catherine inzwischen erfahren hatte. Sie
hatte sich gefragt, ob Ciban davon wusste. Wenn ja, ließ er es sich nicht anmerken und trug es mit Fassung. Schwester Thea hatte jedenfalls
gemeint, sein gutes Verhältnis zu ihr habe nicht weiter darunter gelitten.
Was immer das auch heißen mochte.
Ben zog ein Schreiben des Präfekten aus seiner Robe, eine Vollmacht,
die wiederum auf einer Art Generalvollmacht des Papstes beruhte.
Dominico warf nur einen kurzen Blick darauf, denn er kannte das
Schriftstück und Ben bereits von diversen Besuchen. Dann ging der alte
Bibliothekar zu seinem Schreibtisch und kehrte mit einem Registerband
und zwei Taschenlampen zurück, was Catherine daran erinnerte, dass es
im ›Turm der Winde‹ keinerlei elektrische Beleuchtung gab.
»Danke, Pater«, sagte Ben, öffnete das Gästebuch und trug sich und
Catherine vor den Augen des alten Archivars als Besucher ein.
Dominico reichte ihnen die beiden Taschenlampen und ging ihnen voran.
Durch einen der dunklen Gänge, erneut vorbei an unzähligen Regalen
von Akten und Registerbänden, betraten sie das Erdgeschoss des ›Turms
der Winde‹. Eine steile, schmale Wendeltreppe führte zu den obersten
Regionen des geheimsten aller Archive. Auch hier schlug Catherine
wieder der modrige, staubige und feuchte Geruch alter Pergamente und
Akten entgegen. Papstanweisungen, Prozessakten, Prophezeiungen, nicht
offiziell genehmigte oder anerkannte Heilige Schriften, jahrtausendealte Kirchengeschichte lagen hier seit ewigen Zeiten unter Verschluss.
Catherine, Ben und der Pater kamen zu einer schweren, alten Eichentür.
Dahinter, im obersten Stock, lagerten die geheimsten aller Geheimnisse.
Der Archivar schloss die Eichentür auf, und die beiden Besucher
betraten den Raum, während der alte Bibliothekar draußen wartete.
Zwei Wände waren mit Fresken versehen, die Winde als Götterfiguren in
weiten, wehenden Roben. Ein Bodenmosaik zeigte den Tierkreis von den
Fischen bis zum Wassermann. In der Mitte der Decke hing ein
Windmesser, der die Strömungen der Luft anzeigte und mit
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