Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
war, vor allem
auf ihn, den Meister. Da dieser Fall nicht eingetreten war, musste Leo
eine neue Energiequelle gefunden haben. Nur wer, in Gottes Namen,
konnte diese Quelle sein? Wer hatte die Kraft, gleich vier eliminierte
Mitglieder der päpstlichen Kongregation zu ersetzen? Nicht einmal des
Meisters einstiger Protegé Marc Ciban verfügte trotz seiner
außergewöhnlichen Fähigkeiten über ein derartiges Energiepotenzial.
Andererseits musste die Quelle sich, so stark, wie sie war, in
unmittelbarer Nähe des Heiligen Vaters befinden. Bloß wo?
Der Meister ging in Gedanken noch einmal die möglichen Kandidaten
durch, ohne eine Erleuchtung zu erfahren. Immer wieder kehrten sie zu
dem Präfekten der Glaubenskongregation zurück. Selbst wenn Ciban
nicht die Quelle war, irgendetwas hatte er damit zu tun.
Da fiel dem Meister die einzige Veränderung ein, die er in Leos Umkreis
hatte feststellen können: die neue, dickbebrillte, warzengesichtige Nonne im päpstlichen Haushalt. Während des ganzen Mittagsmahls war sie
nicht eine Minute von Leos Seite gewichen. Der Meister dachte einen
Augenblick lang über die aus Maine stammende Ordensschwester nach,
während er die Auferstehungsszene am Eingang der Sixtina betrachtete.
Er wusste nicht einmal ihren Namen. Wie sollte diese einfache Nonne
dem Heiligen Vater helfen?
Nun denn, eine kurze Überprüfung konnte nicht schaden. Seine
Gedanken sprangen zu Monsignore Massini, der so nahe am Geschehen
war, dass er sogar Leos Tagebuch für zwei Tage unbemerkt hatte
entwenden können. Massini würde ganz gewiss etwas über die Neue am
päpstlichen Hof zu berichten wissen. Mit dieser Überlegung passierte der Meister die Chorschranke, die die Sixtinische Kapelle in den Bereich für den Klerus und den für die Laiengemeinde unterteilte. Er war guter
Dinge. Die Sixtina hatte ihm auch diesmal eine Antwort auf seine Frage
gegeben.
61.
Ben hatte die beiden Taschenlampen so in dem offenen Stahlschrank und
in einem der Seitenregale positioniert, dass sie die Hände frei hatten und den Inhalt der Kassette in Ruhe begutachten konnten. Catherine nahm
den Brief heraus, öffnete ihn und entnahm ihm drei sorgfältig gefaltete
Zettel. Als sie die Blätter aufschlug, erkannte sie Benellis schwungvolle Handschrift. Der Brief war an sie gerichtet. Der alte weißhaarige
Kardinal musste seinen Plan, von dem er in der Kapelle der Villa und in
den Visionen gesprochen hatte, schon eine gute Weile vor seinem Tod
gefasst haben, wenn er Catherine hier sogar eine Nachricht hinterlegt
hatte.
Liebe Catherine,wenn Sie diesen Brief lesen, sind Sie mit Ihrer Mission auf dem besten Weg, dann haben Sie meine spirituelle Energie und
Botschaft erreicht, und die mentale Bindung zwischen Ihnen und Seiner Heiligkeit ist geglückt. Ich weiß, ich habe Ihnen in den letzten Tagen sehr viel zugemutet. Ihre Visionen und Träume haben Sie verwirrt und bisweilen an den Rand der Verzweiflung gebracht. Bitte glauben Sie mir, ich hätte einen anderen Weg gewählt, wenn es einen gegeben hätte, doch leider hat die dunkle Seite die Angelegenheit derart zugespitzt, dass mir nur noch diese Möglichkeit blieb.Bestimmt fragen Sie sich, was es mit diesem Buch auf sich hat. Warum ich Sie hierher geführt habe, damit Sie sich mit dem Inhalt vertraut machen. Die Antwort darauf ist nicht
einfach, und ich fürchte, in ihrer Gänze werden Sie diese erst erfassen, wenn Sie am Ende Ihrer Mission angelangt sind.Was Sie jetzt gleich
erfahren, ist nur sehr wenigen Eingeweihten bekannt. Darius hat um das Geheimnis gewusst, ebenso Sylvester und Isabella, und nun, wie ich
finde, sind auch Sie durch Ihre Träume und Visionen zu einer
Eingeweihten geworden und haben das Wissen um das wahre Buch der Taten verdient, auch wenn ich Ihnen nur diese unvollständige Kopie
zugänglich machen konnte.Es ist das Evangelium des Judas Ischariot. Er hat es während seiner dunkelsten Lebensstunden niedergeschrieben und dafür Sorge getragen, dass es für künftige Generationen nicht verloren ging. Mit Maria Magdalena, die als Mitglied des Zwölferrates ebenfalls um das Geheimnis wusste, gelangte sein Zeugnis nach Frankreich. Eine Abschrift dieser Kopie wurde fast zweitausend Jahre später in vier
versiegelten Hohlzylindern mit Pergamentrollen in der Dorfkirche von Rennes-le-Château entdeckt. Das vollständige Original wurde schon
lange zuvor in den vatikanischen Archiven unter Verschluss gehalten.
Lediglich die Päpste, die
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