Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Lux
Domini. Dann reichte er es an seinen Protegé Pater deRossi weiter. Er
musste die Akte nicht bis ins letzte Detail lesen, um zu wissen, wer diese Nonne war. Catherine war vor vier Jahren mit der Unterstützung von
Pater Darius aus dem Lux Domini ausgeschieden und hatte den Orden
damit in Gasperettis Augen verraten. Nun stand sie vor dem
Inquisitionsgericht, wo nicht einmal Marc Ciban ihrer Herr zu werden
schien.
Der Meister erinnerte sich nur zu gut an ein geheimes Treffen zwischen
Darius und Gasperetti, zwei Jahre bevor der Pater in den Ruhestand
gegangen war. Einer seiner ehrgeizigen Mitarbeiter hatte das Gespräch in den Grotten des Petersdoms aufgezeichnet. Der Meister hatte beim
Abhören der Aufzeichnungen in seinen Wohnräumen nicht schlecht
gestaunt.
»Schön, dass Sie doch noch die Zeit für ein Treffen gefunden haben,
Eminenz«, hatte Darius Kardinal Gasperetti seelenruhig begrüßt.
»Sie wollten mich sprechen. Also bin ich hier«, entgegnete der Kardinal
distanziert. »Worum geht es, Pater?«
»Ich habe von Schwester Catherines Absicht erfahren, den Orden
schnellstmöglich zu verlassen. Der Antrag liegt seit über einem Jahr auf Ihrem Tisch.«
»Nun hören Sie schon auf, Pater. Sie wissen, dass es ein überaus
kompliziertes Verfahren ist. Es kann nicht einfach jeder kommen und
gehen, wie er oder sie will.«
»Sie haben kein Recht, ihr den Austritt zu verweigern.«
»Das tue ich auch nicht. Das Prüfungsverfahren ist eingeleitet und …«
»Seit wann?«
»Seit einem Monat«, antwortete Gasperetti knapp. »Himmelherrgott,
jetzt tun Sie nicht so, Pater. Sie wissen ganz genau, dass es sich bei
Schwester Catherine um einen ganz besonderen Fall handelt. Ihre
außergewöhnliche Gabe …« Er unterbrach sich kurz und fügte dann mit
bedauerndem Tonfall hinzu: »Zu einer künstlich eingeleiteten partiellen
Amnesie ist sie nicht bereit.«
Darius’ Stimme war mit einem Mal eisig. »Wir haben beide erlebt, was
ein solcher Eingriff für den Delinquenten bedeuten kann. Ein Leben im
Schatten.« Gasperetti äußerte sich nicht dazu, weswegen der Pater
hinzufügte: »Es würde mir ganz und gar nicht gefallen, wenn Sie ihr
weiterhin Steine in den Weg legten.«
»Soll das eine Drohung sein?«, fragte Gasperetti gefasst.
»Sie wissen, ich drohe nicht. Niemals. Ebenso wenig wie Seine
Heiligkeit Papst Innozenz.«
Der Meister wusste nur zu gut, dass Innozenz einer der härtesten Männer
war, die den Vatikan je betreten hatten. Umso mehr musste Gasperetti
die kleine Anspielung verstanden haben.
Jedenfalls herrschte daraufhin eine Weile Schweigen.
»Sie verlangen viel, Pater. Sie verlangen von mir, dass ich die
Ordensregel breche.«
»Sie sollen sie nicht brechen, Eminenz, nur ein bisschen verbiegen.«
Wieder herrschte für einen Moment Schweigen, bis Gasperetti
schließlich resignierend meinte: »Ich nehme an, Sie haben einen Plan?«
»Ein Plan wäre zu viel gesagt, Eminenz. Aber ich sehe eine Möglichkeit,
durch die jeder der Beteiligten gewinnen wird. Aber das sollten wir nicht hier besprechen.«
Der Meister blickte angesichts dieser Erinnerung versonnen vor sich hin, während sein Protegé deRossi das Dossier weiterlas. Darius war in der
Tat bereit gewesen, für Schwester Catherine durchs Feuer zu gehen.
Dabei hatte Catherines provokative Kritik an der Kirche sie schon zu
Innozenz’ Zeiten in den Fokus der Glaubensbehörde gerückt und
schließlich vor Gericht gebracht, und das noch ehe das Lux etwas gegen
sie hatte unternehmen können. Eigentlich hätte ein regelrechter
Sensationsprozess aus ihrer Anhörung werden können, doch die Nonne
war klug genug, die Konfrontation nicht eskalieren zu lassen. Nichts,
was hinter den Kulissen dieses Dramas ablief, war bisher an die
Öffentlichkeit gedrungen, was wiederum ausreichend Nährboden für so
manche Spekulation bot.
DeRossi, der die Akte rasch aber intensiv studiert hatte, blickte auf und stellte fest: »Diese Frau verfügt über außerordentliche mediale
Fähigkeiten.«
In der Tat, dachte der Meister, ohne sich seinen Grimm anmerken zu
lassen. Er hatte schon vor Jahren von Catherines ungewöhnlicher
Begabung gehört, doch jetzt konnte er es selbst kaum fassen, dass
ausgerechnet diese Ketzerin, die er am liebsten schon unter Innozenz auf dem Scheiterhaufen hätte brennen sehen, ein mediales Wesen war, das es
schaffte, die Energie von mehreren Aposteln zu ersetzen und seine Pläne
womöglich zu durchkreuzen.
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