Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Aber auch als Schatzkammer hatte das ehemalige
Grabmal herhalten müssen und sogar als Erweiterung des geheimen
Archivs.
Nachdem deRossi den Vatikan und die Engelsburg verlassen hatte, setzte
er seinen Weg über die Engelsbrücke fort. Kein Mensch hielt ihn auf.
Kein Mensch ahnte auch nur, dass er die Welt gerade von einer weiteren
Abscheulichkeit befreit hatte. Es war so leicht gewesen, so einfach.
Schwester Thea hatte seine Annäherung nicht einmal bemerkt, so sehr
war sie in ihr Gebet bei der Grotta di Lourdes vertieft gewesen, als seine kräftigen Hände sich um ihren Hals und ihren Kopf gelegt und ihr in
einem Sekundenbruchteil das Genick gebrochen hatten.
Und jetzt … jetzt saß Thea friedlich vor der Grotte und träumte mit
offenen Augen vor sich hin. Es hatte ihn in der kurzen Zeit, die ihm
verblieben war, einiges an Phantasie und Mühe gekostet, ihren Kopf auf
dem gebrochenen Hals entsprechend zu arrangieren.
Ben Hawlett, das Weichei, würde seine helle Freude daran haben.
69.
»Wie fühlen Sie sich, Heiligkeit?«, fragte Kardinal Ciban besorgt. Er
hatte den Papst vom Boden aufgehoben und auf die Couch im
Wohnzimmer gelegt, als wäre dieser so leicht wie ein Kind.
Catherine hatte den Präfekten und Ben in der Privatkapelle des Papstes
entdeckt, wo sie gerade eine ziemlich ernsthafte, um nicht zu sagen
spannungsgeladene Unterhaltung geführt hatten. Doch als Catherine die
Kapelle betreten und vom neuerlichen Zusammenbuch Leos berichtet
hatte, war die Missstimmung zwischen den beiden Männern von einer
auf die andere Sekunde wie weggewischt gewesen. Catherine hatte schon
wieder hinaus auf den Gang Richtung Wohnraum eilen wollen, als Ciban
sie am Arm festgehalten und gesagt hatte: »Nicht noch einmal durch den
Flur, Schwester.«
Schließlich waren sie durch die Verbindungstüren von der Kapelle über
den Schlaftrakt bis hin zum Privatbüro unauffällig zurück in den
Wohnraum gelangt. Nun lag der Papst wie ein Schwerverletzter auf der
Couch.
»Heiligkeit …?«, wiederholte Ciban sanft.
Leo schlug die Augen auf, blickte zur Decke und wirkte völlig
desorientiert. Doch dann sah er Catherine an. »Ich … ich glaube, ich …
hatte eine … Vision … Benelli war hier … hier in diesem Raum … und
er hat mich wissen lassen, dass Schwester Thea tot ist.«
»Thea?« Catherine spürte, wie ihre Knie weich wurden. Einen Moment
später realisierte sie, dass Thea diejenige war, von der Leo vorhin
gesprochen hatte, als er meinte, bis auf Benelli und eine Apostelin seien alle anderen Abgesandten in der ganzen Welt verstreut! Nur am Rande
nahm sie wahr, wie Ben sie stützte und in einen nahen Sessel setzte.
Thea war tot … ermordet! Zu Tode gebracht von diesem Irren, der Jagd
auf die Apostel machte.
Obwohl Catherine stark war, hatte sie plötzlich das Gefühl, in sich
zusammenzusacken. Doch gerade das durfte sie nicht. Nicht jetzt! Sie
bekam mit, wie jemand behutsam ihre Hand in die seine nahm und wie
ihr diese Berührung neue Kraft verlieh. Ben? Doch ihr Freund stand
schon wieder beim Papst.
Kardinal Ciban sah ihr mit unerschütterlicher Miene direkt in die Augen.
»Ich weiß, Sie waren mit Schwester Thea befreundet, Catherine. Doch
lassen Sie jetzt nicht zu, dass Ihre Trauer und Ihr Zorn über Theas Tod
Ihren Verstand und Ihre Lebenskraft aufzehren.«
Am liebsten hätte Catherine den Präfekten aufgrund seiner
Beherrschtheit angebrüllt, doch so kühl seine Worte auch klangen, sie
hörte tiefe Aufrichtigkeit und großes Mitgefühl heraus. Thea, Darius,
Benelli und all die anderen Opfer waren Ciban nicht egal. Ganz im
Gegenteil. Allerdings würde der Präfekt es einfach nicht zulassen, dass
sein Zorn über die Morde sein Handeln bestimmte. Zorn machte blind,
Blindheit brachte große Gefahr, und große Gefahr konnte den Tod
bedeuten.
Catherine nickte, zog ihre Hand zurück und vermisste schon in der
nächsten Sekunde die sanfte Berührung. Gütiger Gott, was war nur los
mit ihr? Sie war eine rebellische Nonne! Und Ciban ihr Richter und
Henker! Litt sie etwa an einer Art Stockholm-Syndrom? War es das, was
ihre Gefühle so verwirrte? Es musste in der Tat die enorme
Stresssituation sein. Sie konnte nur hoffen, dass der Präfekt nichts von ihren völlig irrationalen Emotionen für ihn bemerkte.
»Sie haben recht, Eminenz«, brachte sie mühsam hervor. »Ich werde
nicht zulassen, dass mich meine Wut auffrisst.« In Gedanken fügte sie
hinzu: Ebenso wenig,
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