Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
sein«, hatte Ciban auf einen Grundriss deutend Ben und
Coelho gegenüber erklärt. »Alles andere wäre viel zu riskant gewesen.«
Der Kommandant beugte sich über die Karten auf Cibans
Besprechungstisch und nahm die Verbindungswege rund um die Grotta
di Lourdes noch einmal gründlich in Augenschein. »Was bedeuten
würde, er kennt sich auf dem Gelände bestens aus.« Er war für seine
außergewöhnliche Position eine recht durchschnittliche Erscheinung,
denn er war kleiner als Ben, etwa Mitte vierzig, hatte aschblonde Haare, braune Augen und trug einen dunklen, unauffälligen Zivilanzug. Hätte
Ben nicht gewusst, welchen Einfluss dieser Mann im Vatikan hatte,
niemals hätte er ihm bei einer zufälligen Begegnung in Rom diese Macht
angesehen. Der Archivar gewann an diesem Tag auch die Einsicht, dass
die Chemie der Arbeitsbeziehung zwischen dem Präfekten und dem
Kommandanten der Vigilanza entgegen seiner Erwartung sehr
harmonisch war.
»Oder aber jemand Internes hat ihn bestens instruiert.« Ciban zeigte auf einen abgegriffenen, unterirdischen Grundrissplan. »Sehen Sie, ungefähr
hier beginnt ein unterirdischer Geheimgang, der auf keiner der Karten
verzeichnet ist. Wir sollten in jedem Fall auch ihn untersuchen. Und bitte gestalten Sie das Ganze so unauffällig wie möglich, sonst denkt noch
einer unserer Bürger oder gar einer der Touristen, wir gingen einer
Bombendrohung nach.«
»Gibt es sonst noch einen geheimen Gang, von dem ich wissen sollte,
Eminenz?«, fragte der Vigilanzakommandant trocken. Er wusste nur zu
gut, dass es auf vatikanischem Gelände von Schleichwegen geradezu
wimmelte, um unbemerkt von einem Ort zu einem anderen zu gelangen.
Er selbst bediente sich des Öfteren eines Teils dieses unsichtbaren
Labyrinths hinter der architektonischen Kulisse.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Ciban ebenso trocken. »Sollten Sie
jedoch wider Erwarten auf einen weiteren Gang stoßen, wäre ich Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie mich darüber informierten.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Coelhos Gesicht.
»Selbstverständlich, Eminenz. Wir machen uns gleich an die Arbeit.«
»Was ist mit der Überprüfung der Passierscheine?«
»Bisher leider ohne Ergebnis. Wir arbeiten daran.«
Zwei Männer studierten unermüdlich sämtliche in den letzten Wochen
und Monaten an Externe und Neuzugänge ausgestellten Passierscheine
für den Vatikan. Zwei davon waren dabei sofort aus der Untersuchung
herausgenommen worden: die von Schwester Catherine und Schwester
Bernadette.
Nachdem Coelho gegangen war, konnte Ben sich nicht länger
zurückhalten. »Vorhin bei Seiner Heiligkeit haben Sie von einer
Befürchtung gesprochen. Was meinten Sie damit?«
Ciban verließ den Kartentisch, trat an das kleine Büfett und schenkte
ihnen Kaffee nach. »Da der Heilige Vater wohl kaum selbst der Mörder
ist und wir nun dank Schwester Catherine wissen, dass auch keiner der
Apostel dahintersteckt, sollte das den Kreis der Verdächtigen eigentlich erheblich einschränken. Doch wie ich vor einer Weile erfahren habe,
weiß noch jemand vom Evangelium des Judas. Es ist jener Archäologe,
der Pius’ Buch in den unterirdischen Gräberfeldern des Vatikans im
Rahmen einer Ausgrabung gefunden hat.«
»Ein Archäologe hat das Buch gefunden?«
»Im Sommer 1943 wurde Mussolini abgesetzt, und im darauffolgenden
September besetzten die Deutschen Rom. Im Oktober tauchte ein
SS-Kommando mit Maschinenpistolen an den Grenzen unseres
Stadtstaates auf. Natürlich nur, um den Heiligen Vater zu beschützen. Da Pius jedoch befürchten musste, dass der Vatikan von den Nazis
okkupiert werden würde, hatte er einen Teil seiner Privatbibliothek in
den Grotten unter dem Petersdom in Sicherheit gebracht. Dr. Kleier hat
diesen Schatz im September 1978 durch eine verrückte Laune des
Schicksals wiederentdeckt.«
»Im September 1978 …«, überlegte der Ermittler.
»Genau an jenem Tag, als Papst Johannes Paul gestorben ist.«
Ben starrte den Kardinal an. Johannes Pauls Todestag. Unglaublich viel
war über sein Ableben in den Medien spekuliert worden. Doch Ciban
gab Ben mit einem Blick zu verstehen, dass Johannes Pauls Tod nichts
mit dem Judas-Evangelium zu tun hatte.
Der Präfekt fuhr fort: »Dr. Kleier sagt, er habe seinen Eid gegenüber der Kirche nicht gebrochen und das Geheimnis für sich bewahrt. Ich muss
gestehen, ich bin geneigt, ihm zu glauben. Das Problem ist nur: Mir
gefällt die Alternative
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