Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Papier abriss. Achtlos ließ sie das Verpackungsmaterial fallen, öffnete die Schachtel – und fand
eine weitere Schachtel darin, und noch eine, und noch eine … Wie es
aussah, hatte Kardinal Ciban vergessen, Benellis bizarren Sinn für
Humor zu erwähnen, oder aber er hatte noch nie ein Päckchen von ihm
bekommen. Schließlich hatte Catherine die innerste Schicht erreicht und
stieß auf einen Bogen fein säuberlich gefaltetes Papier. Als sie es
auseinanderfaltete, fiel ein Schlüssel heraus. Kein gewöhnlicher
Schlüssel. Er sah aus, als gehörte er zu einem Tresor. Ein
Bankschließfach?
Auf dem Papier stand etwas: »Gut aufheben!«
Catherine runzelte die Stirn. Gut aufheben? Sonst nichts? Sie
durchsuchte noch einmal alle Schachteln, die sie finden konnte,
außerdem jedes Stück Papier und kickte jedes überprüfte Teil gekonnt
beiseite. Als Kind hatte sie leidenschaftlich gerne Fußball gespielt. Doch leider fand sie nichts. Was in Gottes Namen sollte sie mit einem
Schlüssel ohne jedweden Bezug anfangen? Während sie die rundherum
verstreuten Papierknäuel betrachtete, wurde ihr klar, dass sie es noch
immer nicht fassen konnte, dass Benelli sich vor ihren Augen das Leben
genommen hatte. Während des Gesprächs in der Kapelle hatte er so
ruhig, so vernünftig, so entschlossen gewirkt. Ganz und gar nicht wie ein Mensch, der seinem Dasein ein Ende setzen wollte oder dem man nicht
vertrauen durfte. Kardinal Ciban dagegen sah gerade Letzteres anders,
was Benellis Entschluss zu bestätigen schien.
Catherine seufzte. Vor ihrem geistigen Auge tauchte noch einmal das
Bild des sterbenden Benelli auf. Diese unglaubliche Ähnlichkeit
zwischen Darius’ und seiner Aura, einmal abgesehen von den Sekunden,
in denen er starb.
Sie nahm den Schlüssel und legte ihn zusammen mit der Fotografie in
das kleine Sicherheitsfach im Schreibtisch. Dann nahm sie eine heiße
Dusche, schlüpfte in ein bequemes Nachthemd und ließ sich völlig
erschöpft ins Bett fallen. Bei Gott, wie unglaublich müde sie doch war.
Durch das Fenster drang das Rauschen der Stadt, das wie das Rauschen
eines fernen Wasserfalls klang. Roms Straßen schliefen nie.
Sie war wirklich völlig erledigt, doch erst nachdem sie noch einmal über die Geschehnisse der letzten Stunden nachgedacht hatte, gelang es ihr,
endlich einzuschlafen.
Catherine schlief tief und fest. Und sie träumte.
22.
Ben war durch die nächtlichen Straßen Roms gefahren, vorbei an sich
streitenden Paaren, Cliquen aus Jugendlichen und abenteuerlustigen
Touristen, die unbedingt das römische Nachtleben kennenlernen wollten.
Das verheißungsvolle Leben der Clubs, Diskotheken, Restaurants, Bars
und Plätze zog viele Nachtschwärmer an. Ihn selbst interessierte das
alles schon lange nicht mehr. Er hatte einfach nur keinerlei Neigung dazu verspürt, nach Hause zu fahren. Stattdessen hatte er über Darius und
Benelli nachgedacht und darüber, wie er Cibans Blockade umgehen und
trotzdem weiter nachforschen konnte. Dabei war ihm der Einfall
gekommen.
Er ließ den Blick über eine Reihe von alten Appartementhäusern in der
Nähe des Forum Romanum schweifen. Er wusste, dass der äußere
Anschein der Wohnhäuser trog. So heruntergekommen sie von außen
auch wirkten, im Inneren waren sie sehr gepflegt. Sein Blick blieb an
einem der Häuser hängen, und wie erhofft brannte im zweiten Stock
noch Licht.
Der Priester, den er zu besuchen beabsichtigte, hatte eine Schwäche für
das antike Rom, weswegen er seinen Wohnsitz in der Nähe des
ehemaligen Regierungs- und Geschäftsviertels der Stadt gewählt hatte.
Einst hatte im Forum Romanum der römische Senat getagt, hatten dort
Gerichtsprozesse stattgefunden oder hatten sich von der Via Sacra aus
Triumphzüge und religiöse Prozessionen auf das Kapitol zubewegt.
Heutzutage war das Stadtviertel ein archäologischer Park, eine
Touristenattraktion, mit Ruinen aus den verschiedensten Epochen der
römischen Kaiserzeit. Doch für den jungen Mann, der in dem alten
Appartementhaus lebte und als Reenactor für sein Leben gerne in die
Gewänder der alten Römer schlüpfte, um die Antike nachzuempfinden,
waren diese Ruinen die Überreste der glanzvollsten Zeit der
Weltgeschichte.
Ben eilte auf den Hauseingang zu und klingelte. Keine Reaktion. Er
klingelte nochmals, diesmal ausgiebiger. Nach etwa fünfzehn Sekunden
schaltete sich die Sprechanlage ein. »Ja?«
»Ich bin’s, Ben. Ich brauche deine Hilfe,
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