Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
auf
dem Stuhl an. Laut der katholischen Lehre war Selbstmord eine
Todsünde gegen Gott. Was mochte Benelli zu dieser Wahnsinnstat
veranlasst haben?
»Er sagte, er habe ein Zeichen setzen wollen«, erklärte Ciban, als hätte er Leos Gedanken gelesen. »Doch ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses
Zeichen richtig verstanden habe. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir eine Erklärung bieten. Was hat er mit seinem Selbstmord bezweckt, außer
Ihre Gesundheit zu riskieren?«
Leo horchte in sich hinein, lauschte auf die inzwischen vertraut
gewordene innere Stimme, die, seit er Papst war, eigentlich immer eine
Antwort wusste. Doch in diesem Moment war sie kaum mehr als ein
fernes Flüstern, kaum mehr als ein vages, unbestimmbares Gefühl.
»Ich weiß es nicht, Marc«, erklärte er schließlich und schüttelte den
Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber wenn es ein Zeichen
gegeben hat, dann werden wir sicher schon bald mehr erfahren.«
20.
Monsignore Corrado Massini wartete im Nebenzimmer darauf, dass der
Papst sein Gespräch mit Kardinal Ciban beendete und ihn wieder zu sich
rief. Massini fühlte sich elend, so elend, dass er sich am liebsten über die verschlungenen Wege des Vatikanpalastes zum Innern des Petersdoms
aufgemacht hätte, um sich dort von der Galerie am Fuße der
Kuppeltrommel in die Tiefe zu stürzen, wenn das nicht so viel Aufsehen
erregt und so viel Dreck gemacht hätte. Aber sein elendes Gefühl rührte
nicht allein von der körperlichen Verfassung des Heiligen Vaters her.
Die DVD war ganz normal mit der Hauspost in einem
DIN-A5-Umschlag gekommen, ohne Absender. Erst hatte Massini sich
nichts dabei gedacht, als er sich nach einem harten Arbeitstag in seine
Privaträume zurückgezogen und das Päckchen vorgefunden hatte. Doch
dann hatte er die beiliegende computergeschriebene Kurzmitteilung
gelesen: »Der Inhalt dieser DVD ist von größtem Interesse für Sie. Sehen Sie sich die Aufzeichnung sofort an. Ein wohlmeinender Freund.«
Für einen Augenblick hatte Massini das Ganze für einen dummen Scherz
gehalten, wäre da nicht das Gefühl gewesen, sich die DVD lieber doch
gleich anzuschauen. Schließlich hatte er die Silberscheibe in den
Rekorder gelegt und ihn zusammen mit dem Plasmafernseher
eingeschaltet. Die Disc enthielt keine Textdatei, wie er festgestellt hatte, sondern einen Film.
Binnen einer Minute war seine heile Welt aus den Fugen geraten.
Er war zusammengezuckt, als er seine Stimme in dem Film hörte, als er
sich selbst in dem Film sah, sich selbst und Aurelio. Sie hatten sich
gerade geliebt, und Massini erzählte Aurelio anschließend in aller
Seelenruhe von seiner Schwäche für …
Der Monsignore hatte den Player sofort abgeschaltet und dann mehrere
Minuten am ganzen Leib zitternd, ja, wie betäubt, auf den Plasmaschirm
gestarrt.
Bis das Telefon geklingelt hatte. Die Rufnummer des Anrufers wurde
unterdrückt.
»Ja.«
»Ich gehe davon aus, unser kleines Filmchen hat Ihnen gefallen. Dass Ihr kleines Geheimnis unter uns bleibt, hat natürlich seinen Preis …« Es war nicht Aurelios Stimme gewesen, jedoch hatte Massini schon mal von
stimmverändernder Software gehört.
In seine Angst hatte sich Wut gemischt. »Vergessen Sie’s.«
»Oh, ich bitte Sie, ich habe hier einen zweiten Umschlag, und der ist
natürlich an Seine Eminenz Kardinal Ciban adressiert. Aber wenn Sie
nicht interessiert sind …«
»Sie elendes Dreckschwein.«
»Sie sehen recht blass aus. Na ja, ist auch nicht verwunderlich,
angesichts der besonderen Umstände.«
Massini hatte sich erschrocken umgeblickt. Hatte der Erpresser etwa
auch hier eine Kamera installiert? Oder bluffte er nur?
»Also, was ist«, sagte die fremde Stimme, »sind Sie an einem kleinen
Deal interessiert, oder nicht?«
»Wer garantiert mir, dass Sie das zweite Video nicht doch losschicken?
Dass es bei diesem einen Deal bleibt?«
»Niemand«, erwiderte die Stimme kalt. »Doch ich versichere Ihnen,
sollten Sie ablehnen, wird Seine Eminenz gleich morgen früh in den
Genuss dieses kleinen Kunstwerks kommen.«
Massinis Angst wandelte sich von Zorn in schiere Verzweiflung. »Was
wollen Sie?«
»Keine Sorge. Nicht viel. Es ist sogar kinderleicht für Sie.«
»Nun rücken Sie schon damit raus.«
»Das Tagebuch Seiner Heiligkeit.«
»Was? – Sind Sie wahnsinnig! Der Verdacht wird sofort auf mich
fallen!«
»Ganz ruhig. Sie sind nicht der einzige Hausangestellte, der Zutritt zu
den
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