Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
hatten sich mit Fahnen und
Transparenten auf dem Petersplatz eingefunden, blickten zum Fenster
des privaten Arbeitszimmers des Papstes hinauf und beteten mit ihm das
traditionelle Angelus .
Der Meister zoomte die Szene auf dem Schirm näher heran, wählte einen
Ausschnitt, der schließlich nur noch den Pontifex zeigte, ohne die
Papstfahne, die vom Fenstersims herabhing, und ohne die
Menschenmenge auf dem Petersplatz. Doch leider war die Übertragung
zu schlecht, um Leos Gesicht genauer zu erkennen. Zu gerne hätte der
Meister in die Augen des Papstes gesehen.
Leo sprach über das Gute und das Böse in der Welt und sagte, dass das
Gute am Ende über das Böse triumphieren werde. Die Lippen des
Meisters verzogen sich bei diesen Worten zu einem zynischen Lächeln.
Die alte Leier. Was wusste Leo schon über Gut und Böse? Das Böse
hatte lange vor dem Guten existiert.
Nach dem Angelus erwähnte der Papst noch die Seligsprechung eines
Ordensmannes. Der Meister kannte ihn, und seiner Meinung nach hatte
der Mönch die Seligsprechung nicht verdient, ebenso wenig wie Mutter
Teresa. Dann drückte der Papst seinen Schmerz über eine
Naturkatastrophe in Südamerika aus. Er betete für all die Menschen, die
davon betroffen waren, die Opfer und die Bevölkerung. Die riesige
Gemeinde der Gläubigen und Pilger auf dem Petersplatz schwenkte ihre
Fahnen und betete mit dem Heiligen Vater. Der Meister verschob sein
Gebet auf ein andermal.
Als der öffentliche Auftritt des Papstes beendet war und sich das Fenster zum päpstlichen Arbeitszimmer schloss, schaltete der Meister den
Fernseher aus und lehnte sich nachdenklich in seinem mit rotem Stoff
bezogenen Sessel zurück. Er hatte den Papst nicht eine Sekunde aus den
Augen gelassen, ihn genau beobachtet, jede Bewegung, jede Geste, jedes
Wort. Leo hatte während des gesamten Auftrittes nicht einen einzigen
Moment der Schwäche gezeigt, und das, obwohl drei Mitglieder seines
Gremiums ausgeschaltet worden waren, trotz seines letzten schweren
Zusammenbruchs. Tatsächlich hatte der Papst sogar wie das blühende
Leben im Fenster gestanden, der Menschenmenge zugejubelt und mit ihr
das Angelus gebetet. Das war ganz sicher keine Halluzination!
Der Meister atmete tief durch, denn im Augenblick schien seine gesamte
bisherige Arbeit umsonst. Doch dann gestattete er sich ein leises
Lächeln. In gewisser Weise zollte er dem Papst und seinem Gremium
Respekt. Durch diese Wendung, die er Leo gar nicht zugetraut hatte,
stand der Meister gewissermaßen vor einem kleinen Dilemma. Einen
Augenblick lang überlegte er sogar, die Mission in Kalkutta
abzubrechen, bis er die Hintergründe von Leos plötzlicher Genesung
kannte, doch dann entschied er sich dagegen. Sollten die Dinge ruhig
ihren Lauf nehmen.
Im Geiste ging er noch einmal die Liste der Namen des päpstlichen
Gremiums durch. Sylvester, Isabella, Darius, Silvia, Thea …
Es gab immer einen Weg. Es gab immer eine Lösung.
39.
Catherine, inzwischen in der Tracht der Nonnen des päpstlichen
Haushaltes, mit einer dicken Hornbrille und einer ordentlichen Schicht
Theaterschminke sowie einer Warze über der Lippe versehen, saß mit
Kardinal Ciban und Monsignore Massini im Arbeitszimmer Seiner
Heiligkeit. Die drei warteten, bis Leo, auf einem Podest am Fenster
stehend, das traditionelle Angelus mit der Gemeinde auf dem Petersplatz
beendet hatte.
Catherine hatte den gesamten öffentlichen Auftritt des Papstes über
einen der beiden Monitore in dessen Privatbüro verfolgt. Die Menschen
liebten ihren Papst, so viel stand fest, denn sie hörten ihm völlig
hingerissen zu. Sie liebten ihn mindestens so sehr, wie sie einst Johannes XXIII. oder Johannes Paul geliebt hatten. Das konnten nicht einmal Leos
Gegner abstreiten. Dummerweise wusste damit nun auch der Feind ganz
offiziell über den hervorragenden Gesundheitszustand des Heiligen
Vaters Bescheid.
In der letzten Nacht hatte Catherine einen weiteren Traum gehabt, in
dem Benelli ihr begegnet war, und dieser war ebenso lebendig und
mitreißend gewesen wie der erste. Sie fühlte sich ganz und gar nicht
wohl bei dem Gedanken, dass der Plan des Kardinals in erster Linie
darin bestand, den Gegner herauszufordern und zu einem Fehler zu
verleiten, zumal ihnen nur wenige Tage blieben, um den Mörder dingfest
zu machen. So lange würde es nämlich dauern, bis Benellis zusätzliche
Energie für Catherine versiegte und sie letztendlich mit der ihren alleine
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