Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
dastand.
»Es tut mir leid«, hatte Benelli ihr in diesem Traum erklärt. »Aber mehr kann ich im Augenblick nicht tun. Auch die jenseitige Welt untersteht
Gesetzen, denen man sich beugen muss. Auch hier stellt man sich die
Frage: Was ist das Leben? Was ist der Tod? Das Böse hatte nun mal
schon immer die Gabe, sich zu verschleiern.«
Catherine sah zu, wie der Papst mit einem dynamischen Schritt vom
Podest hinuntertrat. Massini schloss das Fenster, so dass der Jubel der
Menge auf dem freien Platz nur noch wie ein gedämpftes Murmeln an
ihre Ohren drang. Sie hatte Leo gleich heute Morgen über den zweiten
Traum informiert, doch Benellis Offenbarung hatte ihn nicht im
Geringsten aus der Ruhe gebracht. Der Heilige Vater wirkte wie ein Fels
in der Brandung.
Sie atmete innerlich tief durch, als der Papst auf sie zukam, denn sie
hatte ihm etwas verschwiegen. Vor dem Traum, der Benellis Plan betraf
und von dem sie ihm berichtet hatte, hatte es noch einen anderen
gegeben, ebenso lebendig aber völlig bizarr. Dieser Vor-Traum, oder wie
auch immer Catherine ihn nennen wollte, war wie die Fortsetzung jener
ersten Traumreise durch die Geschichte des Neuen Testaments gewesen,
die sie vor zwei Nächten durchlebt hatte. Allerdings war diese Sequenz
in keinem offiziellen Teil des Neuen Testamentes verzeichnet. Also hatte Catherine den Traum – ebenso wie die Begegnung mit Benelli auf
Golgatha – für sich behalten.
Sie hatte keine Lust der Glaubenskongregation weiteres Futter gegen sie
zu liefern. Catherine, die Visionärin! Das hätte gerade noch in der
Anklageliste gefehlt! Wie hätte sie es dem Heiligen Vater auch schonend
beibringen sollen? Ach ja, übrigens, Heiligkeit, ich hatte da noch ein
Meeting mit Maria Magdalena in Jerusalem, unmittelbar nachdem unser
Herr gen Himmel gefahren ist. Nein, lieber behielt sie diese völlig
verrückten Erscheinungen für sich.
Als der Heilige Vater vor ihr und Ciban stehen blieb, nutzte er die
Gelegenheit, Catherine ausgiebig zu mustern. Sie sah jetzt aus wie eine
Nonne Anfang vierzig, leicht füllig, höflicher ausgedrückt kräftig gebaut, mit einer breiten Nase und einer dicken Brille darauf. Bis auf ihre blauen Augen war sie völlig verwandelt. Nicht einmal Massini, der als
Vertrauter des Papstes in ihre Kostümierung eingeweiht worden war,
hatte sie erkannt.
»Sie sehen gut aus, Schwester«, erklärte der Papst mit einem breiten
Lächeln, hängte sich bei ihr ein und geleitete sie zur Sitzecke. Ganz
besonders schien ihn die aufgeschminkte Warze zu faszinieren. »Selbst
in dieser Verkleidung haben Sie immer noch Stil.«
»Danke, Heiligkeit. Ich habe mir auch alle Mühe gegeben.«
In Wahrheit kam Catherine sich vor wie eine aufgeblasene Qualle. Ohne
Routine – die Theaterspielerei lag viele Jahre zurück – hatte sie fast eine Stunde gebraucht, um diesem Ideal zu entsprechen, und darüber hätte sie
beinahe ihre neue Arbeit, das Herrichten des päpstlichen
Frühstücksbuffets, verpasst. Ciban hatte am Frühstückstisch zwar keine
Miene verzogen, als er sie das erste Mal in ihrem neuen Aufzug gesehen
hatte, doch Catherine hätte schwören können, dass er irgendwo ganz tief
in seinem Innern gegen einen Lachanfall hatte ankämpfen müssen.
Warum sonst hatte er sein Gesicht für eine gute Weile hinter einer von
Leos Tageszeitungen verborgen gehalten?
Als Monsignore Massini das Arbeitszimmer nach dem Angelus-Gebet
verlassen hatte, um eine Audienz vorzubereiten, sagte Leo: »Das war
nun also Akt Eins, Schwester. Haben Sie inzwischen eine Vorstellung,
wohin die Reise gehen soll?«
Catherine schüttelte den Kopf. »Leider nein, Heiligkeit. Seine Eminenz
Kardinal Benelli lässt mich immer nur die Spitze des Eisbergs sehen.
Alles Weitere liegt auch für mich im Dunkeln.«
»Dann«, sagte Leo, »ist nun erst einmal der Gegner am Zug.«
»Ich fürchte, so sieht es aus«, sagte sie. »Hoffen wir mal, dass der
Mörder die Sinnlosigkeit seines Unterfangens erkennt.«
Ciban schüttelte den Kopf. »Wer so weit gegangen ist, hört in seinem
Trachten nicht einfach auf. Hoffen wir vielmehr, dass er seine Deckung
aufgibt und sich zu einem Fehler hinreißen lässt.« Der Kardinal blickte
Catherine direkt in die Augen. »Es gibt da noch etwas, das mir
Kopfzerbrechen bereitet, Schwester.«
»Und das wäre, Eminenz?«
»Es mag seltsam klingen, doch sollten Sie, aus welchen Gründen auch
immer, den päpstlichen Palast oder gar den Vatikan in den
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