Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Menschen auf so engem Raum erlebt.
47.
Rom, Vatikan, Apostolischer Palast
Catherine hatte sich mit ihrem Laptop erneut in den Dachgarten
zurückgezogen, während der Papst mit Monsignore Massini bei einem
Treffen mit Seiner Eminenz Kardinal Gasperetti war. Soweit sie erfahren
hatte, gab es einige Unruhe an der Spitze der Kurie, und der Kardinal
hoffte, so Antworten auf einige dringliche Fragen zu erhalten, um seine
Kollegen wieder beruhigen zu können.
Catherine konnte Kardinal Gasperetti nur schwer einschätzen. Einerseits
strahlte er eine unglaubliche Ruhe und Zuversicht aus, andererseits
glaubte sie zu spüren, dass ein tiefer Riss durch seine Seele ging.
Dennoch schien er zu den Guten im Spiel um die Macht zu gehören.
Hätte sie von Darius nicht gelernt, ihre Gabe zu kontrollieren und die
Privatsphäre anderer Menschen nicht zu verletzen, hätte sie vielleicht
schon längst einen Blick auf seine Aura riskiert.
Sie stellte den Laptop auf den kleinen Gartentisch und klappte ihn auf.
Es war schon verrückt, dass sie als erklärte Ketzerin mitten im Herzen
der katholischen Welt an ihrem neuen Buch weiterschrieb. Im aktuellen
Kapitel ging es um den Begriff der Hölle und um ihren heiligen Zweck
als Mittel der Einschüchterung. Vermutlich erlitten die hohen Präfekten, die über sie zu Gericht saßen, auf der Stelle einen Herzinfarkt, wenn sie davon wüssten.
Catherine hatte gerade auf die germanischen Ursprünge, auf die Göttin
Hel und ihr behütetes Reich der Toten hingewiesen, als sich um sie
herum ein erstaunlicher Wandel vollzog. Dort, wo eben noch der
Gartentisch mit ihrem Laptop gestanden hatte, befand sich nun eine
gedeckte Tafel, um die mehrere Männer und Frauen saßen. Im selben
Moment begriff sie, dass dies das alttestamentliche Passahmahl war,
welches durch den neuen Bund vom neutestamentlichen Abendmahl
abgelöst wurde. Hier hatte Jesus erstmals die Eucharistie eingesetzt.
Einer der Männer saß neben einer wunderschönen Frau. Er nahm das
Brot, segnete es und sprach: »Nehmt und esst, denn dieses Brot soll sein wie mein Leib.« Dann ergriff er einen Becher Wein, sprach das
Dankgebet und reichte ihn herum. »Dies ist mein Blut, das Blut des
neuen Bundes, das für viele vergossen wird.«
Catherine erkannte in dem Mann, der das Brot brach und den Kelch
weiterreichte, den Gesalbten. Eine bedrückende Stimmung lag in der
Luft. Kaum einer der Anwesenden sagte etwas. Alle aßen und
schwiegen. Dann erkannte sie auch jenen Mann unter den zwölf
Aposteln, der sich ihr als Judas Ischariot vorgestellt hatte. Er blickte sie an und schien sie ebenfalls wiederzuerkennen. Judas war sichtlich
angespannt. Catherine wusste nur zu gut, weshalb: Er hatte das Los des
Verräters gezogen und es angenommen, auch wenn es ihm nicht gefiel.
Sie blickte weiter in die Runde, und plötzlich erkannte sie zwei weitere der männlichen Gesichter am Tisch: Benelli und Darius! Die beiden
wirkten ebenso unglücklich wie Judas Ischariot. Auch sie schienen
Catherine wahrzunehmen. Bei Gott, was hatten der Kardinal und der
Pater mit dem letzten Abendmahl zu tun?
Der Gesalbte nahm ein Stück Brot, tauchte es in den Wein und reichte es
Judas, als vereinbartes Zeichen.
»Tu, was du tun musst – und tu es rasch.«
Judas nahm das in Wein getränkte Brot, biss davon ab, erhob sich und
verließ den Raum, ohne noch einmal zurückzusehen.
Unmittelbar darauf begann der Gesalbte das neutestamentliche
Abendmahl. Doch Catherine wusste, weil Judas in Wahrheit kein
Verräter war, hatte der Gesalbte dafür Sorge getragen, dass auch er aus
dem Kelch mit dem Blut des neuen Bundes getrunken hatte …
Sie spürte, wie jemand sie sanft schüttelte. »Schwester? Hören Sie
mich?«
Sie blinzelte und öffnete die Augen für die Außenwelt. Erschrocken
stellte sie fest, dass sie auf dem Boden lag und Kardinal Ciban neben ihr kniete und vorsichtig ihren Oberkörper anhob. Sie blinzelte erneut und
riss sich zusammen.
»Ich … ich erinnere mich nicht, dass ich hingefallen bin.«
»Gott sei Dank haben Sie sich nicht verletzt.« Der Präfekt hob sie auf
und half ihr auf den Stuhl. Der Laptop stand noch immer dort, wo sie ihn hingestellt hatte, scheinbar unberührt. »Wie mir scheint, werden Ihre
Träume immer unberechenbarer.«
Catherine bemerkte, dass er noch immer ihre Hand hielt. Eine Spur zu
hastig zog sie sich zurück. Dabei fiel ihr Blick auf seine kräftigen,
schlanken Hände, und ihr wurde klar,
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