Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
leuchtender,
fremder Sterne. Sie saß im Kreise von Männern und Frauen um ein
wärmendes Lagerfeuer. Einige andere lagen im Gras und schliefen
schon. Catherine dagegen war nicht nach Schlafen zumute. Sie spürte,
dass dies eine ganz besondere Nacht war.
Einer der Männer ließ sich neben ihr nieder und legte ihr einen
wärmenden Umhang um den Leib. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie
schwanger war.
»Du solltest dich ausruhen. Zu viel Anstrengung ist nicht gut für dich
und das Kind. Eigentlich solltest du gar nicht hier sein.«
»Ich bin schwanger, nicht krank«, gab Catherine mit einem Anflug von
Humor zurück, während sie begriff, dass es nicht sie war, die hier sprach, sondern dass dieses Gespräch bereits zweitausend Jahre zurücklag.
Der Mann deutete auf eine Gruppe, die ein Stück entfernt ebenfalls um
ein Feuer saß. »Das sind sie, die Auserwählten.«
»Wer von ihnen ist nun der – Gesalbte?«
Ihr Begleiter deutete auf eine einsame Gestalt, die nachdenklich etwas
abseits von den anderen stand und zu der sich nun eine zweite, kleinere
und zierlichere Person hinzugesellte. Die beiden umarmten sich und
standen dann still beieinander, als blickten sie auf ein verheißungsvolles Jerusalem.
»Dieser Mann hat Lazarus in Bethanien von den Toten auferweckt«,
sagte er ehrfürchtig. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Dieser Mann hat viele Wunder vollbracht«, sagte eine Stimme hinter
ihnen. »Und jedes dieser Wunder hatte seinen Preis.«
Catherine drehte sich um. Derjenige, der zu ihnen gesprochen hatte,
stellte sich als Judas Ischariot vor, doch die junge Frau glaubte, noch
jemand anderen in ihm zu erkennen. Eine rötliche Aura umgab ihn, an
einigen wenigen Stellen von Blau und Weiß durchdrungen. Es schien, als
fechte er einen inneren Kampf aus. Sie sah den Untergang des Gesalbten
in seinen schmerzerfüllten Augen.
Just in dem Moment erwachte Catherine in einem schweißdurchtränkten
Nachthemd, schaltete rasch den Wecker aus und brauchte noch eine
ganze Weile, um sich zu orientieren. Sie lag ganz allein in dem dunklen
Zimmer. Ein feuchter Film bedeckte ihr Gesicht, als hätte sie Fieber.
Dann erinnerte sie sich wieder daran, wo sie wirklich war. Sie befand
sich im Apostolischen Palast, war Teil des päpstlichen Haushaltes und
beschützte mit ihrer mentalen Energie den Papst. Doch der Traum wollte
sie nicht loslassen, lag wie eine reale Erinnerung in ihrem Geist und in diesem Zimmer.
Sie sah noch immer die Menschen an den Lagerfeuern, spürte die Wärme
des Feuers auf dem Ölberg, sah die Angst und den Schmerz in den
Augen von Judas, der zugleich irgendwo auch Kardinal Benelli war.
Sie musste raus aus dieser Welt. Raus aus diesem Irrsinn. Catherine
sprang auf, eilte ins Bad und unter die Dusche. Nachdem sie
minutenlang unter dem heißen Wasserstrahl gestanden hatte, drehte sie
den Hahn zu, nahm ein großes Handtuch und trocknete sich ab. Das
ganze Badezimmer war voller Nebel, alles mit Dunst beschlagen. Sie
blickte zum Spiegel und erstarrte.
Eine gekrümmte Linie bildete auf dem beschlagenen Spiegelglas das
halbe Ichthys-Symbol, das geheime Erkennungszeichen der frühen
Christen. Eine Person zeichnete einen Bogen in den Sand, die andere
vollendete das Fischsymbol mit dem Gegenbogen und gab sich damit als
Bruder oder Schwester in Christus vor zweitausend Jahren zu erkennen.
Hatte Benelli ihr etwa dieses Zeichen gesandt? Um ihr Mut zu machen?
Um sie an den tieferen Sinn ihrer Mission zu erinnern?
Wie hypnotisiert trat Catherine an den Spiegel und vollendete das
Symbol.
46.
Ben erinnerte sich, dass das Apostolische Vikariat Bengalen 1834
errichtet und 1886 von Papst Leo XIII. zum Erzbistum Kalkutta erhoben
worden war. Als Kardinalssitz standen dem Erzbischof zur
Unterstützung seiner Arbeit drei Weihbischöfe zur Seite. Die
Kirchenprovinz umfasste die Suffraganbistümer Asanol, Bagdogra,
Baruipur, Darjiling, Jalpaiguri, Krishnagar und Raiganj. Doch für die
meisten Menschen in den Slums existierte die katholische Kirche erst
durch das selbstlose Wirken von Mutter Teresa. Weniger als ein Prozent
der indischen Bevölkerung waren Christen.
Ben hatte sich am Flughafen eines der Taxis genommen und sich direkt
nach Shanti Nagar bringen lassen. Schwester Bernadette, eine der
»Missionarinnen der Nächstenliebe«, nahm ihn am Haupteingang, einem
schweren Eisentor, in Empfang. Vor fast einem ganzen Tag war er von
Rom aus nach Kalkutta aufgebrochen,
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