Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
dass Ciban nicht nur tagein, tagaus am Schreibtisch saß.
»Danke. Es ist alles in Ordnung. Ich – habe alles im Griff. Ich fürchte
nur, meine Phantasie geht zurzeit etwas mit mir durch.«
Der Präfekt schüttelte den Kopf. »Die Sache wird immer gefährlicher.
Nicht nur für Seine Heiligkeit, sondern auch für Sie.«
»Ich werde das durchstehen«, erklärte sie fest. »Ich bitte Sie nur um
eines: Keine totale Überwachung.«
Ciban zögerte einen Moment und sagte dann: »Tun Sie mir einen
Gefallen, Schwester?«
Nun war es an Catherine zu zögern. »Das kommt darauf an, Eminenz.«
Die Lippen des Kardinals deuteten ein kurzes, resignierendes Lächeln
an, als besinne er sich darauf, dass sie nicht nur eine Ordensfrau, sondern auch eine streitbare Rebellin war. Catherine verspürte augenblicklich
wieder dieses seltsame Flattern im Magen.
»Ruhen Sie sich aus. Am besten, Sie arbeiten die nächsten Tage nicht.
Hören Sie einzig auf Ihre innere Stimme, achten Sie auf sich und auf
Seine Heiligkeit.«
Catherine nickte. »Das werde ich.« Dann gab sie sich einen inneren
Ruck. »Wissen Sie bereits, wer das letzte Opfer ist?«
Ciban atmete tief ein – und nickte. »Monsignore Hawlett ist bereits in
Kalkutta und untersucht den Fall.«
»Wer ist es?«
Der Präfekt beugte sich vor und flüsterte ihr den Namen ins Ohr.
»Mein Gott …«, entfuhr es Catherine leise.
48.
Kalkutta, Kirche in Motijhil
Schwester Bernadette klingelte am Hintereingang des Gotteshauses. Ein
Schild hing an der Tür, das besagte, dass die Kirche wegen
Renovierungsarbeiten geschlossen sei. Hinter Ben tobte der Lärm des
Marktes, weshalb er sich fragte, ob Pater Raj das Klingeln überhaupt
hören konnte. Dann vernahm er, wie mehrere Riegel zurückgeschoben
wurden und die Tür aufging.
Pater Raj war selbst für indische Verhältnisse ein kleiner, hagerer Mann.
Er war um die fünfzig, hatte graues Haar und pechschwarze Augen.
Schwester Bernadette stellte die beiden Männer einander vor. Der Pater
nickte freundlich und bat sie herein. Das Innere der Kirche lag im
Halbdunkel und war angenehm kühl.
»Ich nehme an, Sie wollen den Altarbereich untersuchen, wo ich
Schwester Silvia gefunden habe«, sagte Pater Raj mit tiefer Traurigkeit
in der Stimme. Wie Schwester Bernadette sprach er ein gutes Englisch.
Er ging ihnen voraus und geleitete sie durch die Sakristei.
»Das stimmt«, bestätigte Ben. »Doch wir haben noch ein anderes
Problem …«
Der Pater horchte auf.
»Schwester Silvias Leichnam ist aus der Leichenhalle von Shanti Nagar
verschwunden. Niemand konnte uns bisher sagen, wo er geblieben ist.
Sie haben nicht zufällig etwas von einer Verlegung gehört?«
Der Gefragte schüttelte betroffen den Kopf. »Vielleicht hat Seine
Eminenz eine entsprechende Anweisung gegeben? Sie müssen wissen,
Schwester Silvia wird hier beinahe wie eine Heilige verehrt. Sie ist,
wenn auch nicht offiziell, die anerkannte Nachfolgerin Mutter Teresas.«
»Das Verschwinden des Leichnams ist Seiner Eminenz ebenso ein Rätsel
wie der Mutter Oberin.«
Pater Raj blickte bestürzt von Ben zu Schwester Bernadette und wieder
zu Ben zurück. »Soll das heißen, der Leichnam wurde – gestohlen?«
»Das wissen wir nicht. Zumindest scheint niemand sagen zu können, wo
er sich momentan befindet.«
»Was ist das nur für eine wahnwitzige Zeit«, brachte Pater Raj mit einem Seufzen hervor, »in der eine unserer treuesten Missionarinnen ermordet
wird und die Tote dann auch noch verschwindet.«
»Gewiss wird sich das Ganze bald aufklären, Pater«, versicherte Ben,
ohne dass er in dieser Hinsicht allzu große Hoffnung hegte. »Doch
sollten Sie etwas hören, bitte geben Sie der Schwester Oberin sofort
Bescheid.«
»Das werde ich gerne tun.«
»Wo haben Sie die Leiche gefunden, Pater?«
Pater Raj holte tief Luft. »Kommen Sie, bitte. Hier entlang.«
Sie gingen weiter durch die Sakristei, betraten den hinteren Altarbereich und traten nach vorne, an den Ort des Geschehens. Es war dunkel. Nur
wenige Kerzen erhellten den Innenraum. »Könnten Sie bitte etwas Licht
machen?«, fragte Ben.
Der Pater zuckte die Achseln. »Es tut mir leid, aber wir haben gerade
einen Stromausfall. Ich werde noch ein paar Kerzen für Sie entzünden.
Mehr kann ich leider nicht tun.« Er verschwand und kehrte kurz darauf
mit einigen Kerzen zurück, die er an den bereits brennenden entfachte
und rundherum aufstellte.
Ben griff in seine Anzugsjacke und zog
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