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Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini

Titel: Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thomas
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und obwohl er hundemüde war,
    wollte er sofort den Leichnam Schwester Silvias sehen. Noch immer
    gingen ihm die aberwitzigen Tatortfotos im Kopf herum, die Kardinal
    Ciban codiert über das Internet in seinem Büro erhalten hatte. Die Tote
    hatte darauf wie eine prophetische Heiligenstatue gewirkt, umgeben von
    einem Meer von Kerzen. Eine der Fotografien hatte so friedlich, so
    spirituell, so verheißungsvoll gewirkt, dass sie fast schon wieder brutal ausgesehen hatte.
    Schwester Bernadette war eine kleine, rundliche Person mit Nickelbrille
    und einer warmherzigen Ausstrahlung, die Schwester Silvia oftmals auf
    ihren Touren durch die Slums begleitet hatte, wie sie Ben nun auf dem
    Weg zur Leichenhalle berichtete. Das war auch der Grund, weswegen
    die Oberin sie dazu bestimmt hatte, den Monsignore bei der
    Untersuchung des Todesfalls zu unterstützen. Von allen
    Ordensangehörigen kannte sie sich am besten in den Slums rund um
    Shanti Nagar und die kleine Kirche aus, wo die Leiche gefunden worden
    war.
    Schwester Bernadette öffnete die Tür zur Leichenhalle, und sie
    passierten den kleinen Vorraum, der zu einem dunklen Gang führte. Der
    klimatisierte Raum erschien Ben im Kontrast zur Hitze im Freien so
    erfrischend, dass er schon beinahe wieder fror.
    »Warum haben Sie Schwester Silvia eigentlich nicht in die Kirche
    begleitet?«, hakte Ben nach.
    »Ich wurde zu einem anderen Patienten gerufen«, erklärte die rundliche
    Nonne in dem blau-weißen Sari ruhig. »Manchmal teilen wir die Arbeit
    in den Slums unter uns auf, um effektiver sein zu können.« Sie erzählte
    von dem Patienten, zu dem sie gegangen war. Ein unheilbar an Krebs
    erkrankter Mann, der noch in derselben Nacht gestorben war. Der
    Ärmste hatte seit über einem Jahr furchtbar gelitten, doch nie hatte
    Bernadette ihn jammern oder klagen gehört. Am Ende sei er nur noch
    Haut und Knochen gewesen, da er schon lange keine feste Nahrung mehr
    hatte zu sich nehmen können.
    »Verstehe«, sagte Ben betroffen. Allmählich bekam er eine Ahnung von
    dem unaussprechlichen Elend, mit dem die Missionarinnen hier
    tagtäglich konfrontiert waren.
    Sie schritten durch einen langen, halbdunklen Gang, von dem auf der
    rechten Seite in regelmäßigem Abstand Nischen abgingen, die entweder
    leer waren oder in denen ein Leichnam aufgebahrt lag. Schließlich blieb
    Schwester Bernadette vor einer davon stehen. Die Missionarin blickte in
    die Nische hinein und erstarrte.
    »Was ist los, Schwester?«, fragte Ben, über ihre Reaktion erstaunt.
    »Sie ist weg!«
    »Wie bitte?« Er trat näher heran. Tatsächlich, die Bahre war leer.
    »Vielleicht ist sie verlegt worden?«, überlegte Ben laut, obwohl er das
    selbst nicht recht glauben konnte.
    Warum sollte jemand Schwester Silvias Leichnam von einer Nische zu
    einer anderen bringen? Die Ecke schien, genau wie die anderen,
    ausreichend klimatisiert. Auch konnte er sich nicht vorstellen, dass das Erzbistum Kalkutta eine entsprechende Anweisung gegeben hatte.
    Immerhin hatte der Erzbischof den Vatikan über den Todesfall
    informiert, und hätte er die Leiche verlegen lassen, hätte er ganz gewiss die Oberin der Missionarinnen informiert.
    »Das halte ich für höchst unwahrscheinlich«, erklärte Schwester
    Bernadette. Wie es aussah, waren ihr die gleichen Gedanken durch den
    Kopf gegangen.
    Sie suchten die restlichen Bahren ab, auch jene, die sie bereits passiert hatten, doch sie konnten die Tote nicht finden. Schließlich sprachen Ben und Schwester Bernadette bei der Oberin vor, die unverzüglich mit dem
    Sekretariat des Erzbischofs telefonierte. Von einer Verlegung des
    Leichnams wusste niemand etwas. Auch keine der anderen
    Missionarinnen oder der sonstigen Bewohner der Kolonie konnte etwas
    über den Verbleib der Toten sagen. Schwester Silvia blieb wie vom
    Erdboden verschluckt.
    »Die Hoffnung ist zwar gering, aber vielleicht kann uns Pater Raj etwas
    dazu sagen«, meinte Schwester Bernadette schließlich.
    Ben hatte gehört, dass der Pater die Leiche in der kleinen Kirche
    entdeckt und sich, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte,
    hilfesuchend an das Erzbistum Kalkutta gewandt hatte. Der Anruf des
    Erzbischofs war just zu dem Zeitpunkt in Kardinal Cibans Büro
    eingegangen, als Ben mit ihm über Abels Ermordung gesprochen hatte.
    Der Präfekt hatte ihm daraufhin eine Akte gereicht, die bereits auf dem
    Tisch gelegen hatte, und ihn gebeten, diese zu öffnen. Das Erste, was
    Ben ins Auge gefallen war, war das

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