Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Deutschordensrittern bei lebendigem Leibe auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Ihn rettete sein zuvor nie erblickter,
     gänzlich unirdischer feuerroter Haarschopf, der Perkūnas’ Priester faszinierte. Bald stellte sich denn auch heraus, dass der
     Mann von der grünen Insel die Dreifaltigkeit der Weißen Göttin, Milde, Kurko und Swerine, verehrte. Er nannte die Göttin zwar
     Brigid, Badb und Morrigan, aber Namen sind bekanntlich nicht so wichtig, Göttin bleibt Göttin. Während er in Vilnius im heiligen
     Hain auf dem Lukiškiu ąikšte˙ weilte, gab der Ire seine hellseherischen und prophetischen Fähigkeiten preis, man konnte ihn
     daher problemlos in die Schar der Priester einreihen. Unter dem angenommenen Namen Budrys Washgajtis erlangte der Mann von
     der grünen Insel sogleich Ruhm als geschickter Vaideliotas, also Wahrsager und Hellseher.
    Budrys, erzählte Korybut, hatte vieles, was sich ereignete, richtig vorausgesagt, vom Ausgang der Schlacht auf dem Schnepfenfeld
     bis zur Heirat Jogailas mit Jadwiga. Aber es gab da ein kleines Problem. Seine Weissagungen waren verdammt kompliziert formuliert
     und reichlich unverständlich.
    Als Erbe einer westlichen Kultur verpackte dieser Ire seine Weissagungen in zahlreiche, an ebenjene Kultur anknüpfende, verborgene
     Anspielungen, dunkle Metaphern und verwendete zu allem Überfluss auch noch Latein oder andere fremde Sprachen. Die Litauer
     mochten das nicht. Sie schätzten die gelehrte Weissagung eher weniger. Steckte die heilige Schlange, nachdem sie angerufen
     worden war, ihren Kopf aus dem Loch, war das Schicksal ihnen gewogen. Missachtete die Schlange die Anrufung, dachte sie nicht
     daran, ihren Kopf aus dem Loch zu stecken, waren die Aussichten schlecht. Jogaila und Witold, die der westlichen Kultur gegenüber
     aufgeschlossener waren alsihre Stammesgenossen, respektierten Budrys und hörten auf seine Prophezeiungen, bei Staatsangelegenheiten zogen auch sie jedoch
     die Schlange zu Rate.
    »Ich habe ihn stets geschätzt und bewundert«, bekannte Korybut. »Ich wollte, dass er mir weissagt, dass er mein Horoskop erstellt
     und mir die Zukunft voraussagt. Ich habe ihn viele Male darum gebeten, aber dieser
proklatyj did
hat sich geweigert. Einen Karrieremenschen hat mich dieser alte Ire genannt und irgendwas gebrabbelt, was heißen konnte, ein
     jeder sei seines Glückes Schmied. Erst Oheim Witold konnte ihn überreden, kurz vor meiner Fahrt nach Böhmen. Der Sterndeuter
     sollte das Horoskop für uns alle erstellen, für Jogaila, Witold und mich. Und dann ist er mir nichts, dir nichts gestorben.
     Er hat ganz einfach den Geist aufgegeben.«
    »Du, Bielau, bist ein Nekromant und Divinator. Ruf ihn aus der Geisterwelt herbei. Der Vaideliotas soll nun als Geist das
     tun, was er zu Lebzeiten nicht mehr tun konnte.«
     
    Reynevan versuchte hartnäckig, dem Prinzen diese Idee auszureden, aber es half nichts. Korybut wollte nichts hören von den
     Schwierigkeiten, die mit der Beschwörung der Geister von Toten verbunden sind, von den Gefahren, die während einer Voraussage
     zukünftiger Ereignissen drohen, von den Risiken, die eine
vehemens imaginatio
, die für eine erfolgreiche Geisterbeschwörung unerlässliche Steigerung der Phantasie, mit sich brachte. Er stellte sich taub,
     als Reynevan König Saul und die Hexe von Endor erwähnte. Er winkte ab, kräuselte die Lippen und warf schließlich etwas auf
     den Tisch, das die Größe, Gestalt und Farbe einer alten, vertrockneten Kastanie hatte.
    »Du bringst lauter Ausreden vor«, sagte er gedehnt. »Ich kenne mich auch ein bisschen mit Zauberei aus. Einen Geist herbeizurufen,
     ist gar nicht schwer, wenn man ein Stückchen von seinem Leichnam hat. Hier, das ist ein Stück von Budrys Washgajtis.«
    »Sie wollten ihn auf dem Scheiterhaufen verbrennen, diesenalten Heiden, mit dem ganzen Toten- und Bestattungsbrimborium. Er lag da auf der Bahre, im Festtagsgewand, mit Tannenzweigen
     geschmückt, mit Feldblumen und Blättern. Da habe ich mich nachts hineingestohlen, dem Alten den Latschen ausgezogen und ihm
     die große Zehe abgeschnitten.«
    »Ihr habt den Leichnam geschändet?«
    Korybut lachte auf.
    »In meiner Familie hat man nicht nur so etwas geschändet.«
     
    Gegen Mitternacht kam Wind auf, er pfiff und heulte durch die Mauerspalten. In einem abseits gelegenen Raum der Burg, in der
     alten Waffenkammer, drückte der Durchzug die Flamme der Kerze aus schwarzem Wachs nieder und wand den Rauch des auf

Weitere Kostenlose Bücher