Lux perpetua
sich, glaube mir, alles
auf unsere Karte zu setzen.«
»Ich biete dir meine Dankbarkeit und meine Huld, Reinmar von Bielau. Eine ganz andere als die, die dir von den Böhmen zuteil
geworden ist, von Neplach und Prokop, die dich in den Tod geschickt haben und dich im Stich gelassen haben, als du in Not
warst. Hättest du mir gedient wie du ihnen gedient hast, dann wäre dein Mädchen schon an deiner Seite und frei. Um das Mädchen
eines Mannes zu retten, der mir in Treue dient, würde ich Breslau niederbrennen oder riskieren, bei dem Versuchumzukommen. Gott weiß, dass es so wäre. Denn so ist es Sitte bei uns in Litauen und Żmudź. So würde Olgerd handeln, und ebenso
Kynstute. Und ich bin Blut von ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleisch. Überlege es dir. Noch ist es nicht zu spät.«
Reynevan schwieg lange.
»Prinz«, stieß er schließlich heiser hervor, »was wollt Ihr von mir?«
Zygmunt Korybut lächelte. Mit der Arroganz des Aristokraten.
»Erst einmal«, sagte er, »rufst du mir jemanden aus der Geisterwelt herbei.«
Auf dem Marktplatz von Odrau waren plötzlich lautes Stimmengewirr, Schreie und Flüche zu hören. Ein paar Polen stritten dort
miteinander, schubsten sich gegenseitig, zupften einander an den Wämsern herum, drohten einander mit Fäusten und beschimpften
sich gegenseitig als Mistkerle, Schlappschwänze und Hurensöhne. Ihre Kameraden versuchten zu schlichten und sie zu trennen,
machten aber dadurch das Durcheinander nur noch schlimmer. Plötzlich flogen die Schwerter aus den Scheiden, blitzten die Klingen.
Ein schriller Schrei ertönte, die Bewaffneten reagierten mit Verwirrung, drängten aufeinander zu, wichen dann zurück und rannten
im selben Augenblick davon. Auf dem Pflaster blieb ein zuckender Körper zurück und eine immer größer werdende Blutlache.
»Neunhundertneunundneunzig«, sagte Reynevan.
»Da hat Korybut reichlich übertrieben.« Scharley, dem Reynevan gerade von dem Gespräch berichtet hatte, das gestern in der
Schlosskapelle geführt worden war, lachte verächtlich. »In Odrau stehen momentan nicht mehr als fünfhundert Polen. Ich bezweifle,
dass auch nur einer von ihnen mit Korybut zieht, wenn der tatsächlich beleidigt ist und abzieht. Dieser Litauer hat eine viel
zu hohe Meinung von sich. Die hatte erschon immer, das ist alles andere als ein Geheimnis. Überleg dir, Reynevan, ob es sich lohnt, mit ihm zusammenzuarbeiten.
Hast du nicht schon genug Schwierigkeiten?«
»Du lässt dich schon wieder ausnutzen.« Samson schüttelte den Kopf. »Wirst du denn nie gescheit?«
Reynevan holte tief Luft. Und berichtete von der prinzlichen Huld, von der Dankbarkeit, von den Vorteilen, die sich daraus
ergeben könnten. Er erzählte von der Konferenz in Luck und davon, dass dieses Treffen König Jagiełło dazu bringen könnte,
sich den Hussiten anzunähern, wodurch die Karte Korybut gute Chancen hätte, zum Atout zu werden. Er sprach davon, dass die
Verbindung mit Korybut die Rettung für Jutta sein könnte. Scharley und Samson ließen sich nicht überzeugen. Dies konnte man
ihren Mienen entnehmen.
»Die Frage mag Euch verwundern, Prinz, aber
. . .
Habt Ihr in letzter Zeit vielleicht einen Unfall gehabt? Habt Ihr Euch eine Wunde oder eine Verwundung zugezogen, von einem
Eisen herbeigeführt?«
»In letzter Zeit? Nein. Früher ja, da sind schon ein paar Narben auf der Haut zurückgeblieben. Aber in letzter Zeit, nein,
nicht mal ein Kratzer. Gott behütet mich. Warum fragst du?«
»Och, nur so.«
»Nur so, nur so. Hör auf mit dem Blödsinn, Reynevan, und konzentrier dich. Ich will dir vom Weissager Budrys erzählen.«
Der Weissager Budrys, erzählte Korybut, hieß eigentlich Angus Deirg Feidlech und stammte aus Irland. Nach Litauen war er als
Barde gekommen, im Gefolge eines englischen Ritters, als einer der zahlreichen von den Inseln stammenden Gäste, die nach Osten
gezogen waren, um unter den Fahnen des Deutschen Ordens den litauischen Heiden den Glauben an Christus zu verkünden. Es kam
anders, als es die Kapläne auf der Marienburg, die den Missionaren einen allumfassenden göttlichen Schutz garantierten, versprochen
hatten, denn dervon einer Keule getroffene englische Ritter verspritzte bereits im ersten Scharmützel mit den Kriegern Kynstutes seine Hirnmasse
auf den Felsen an der Memel, und der gefangen genommene und nach Trakai verschleppte Angus sollte zusammen mit den anderen
gefangenen
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