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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem
     eisernen Dreibein glimmenden Räucherwerks zu einer Spirale. Es roch nach Wachs und Räuchermittel aus Aloe. Reynevan machte
     sich ans Werk, ausgerüstet mit einer Haselrute, dem Amulett Python und einem aus der Apotheke entliehenen Exemplar des ›Enchiridion‹.
     In einem auf dem Tisch eingezeichneten Kreidekreis stand ein Spiegel, daneben lag die mumifizierte große Zehe, die einst Eigentum
     und untrennbarer Bestandteil des verblichenen Budrys Washgajtis gewesen war.
    Der Kontakt mit dem Geist des Verstorbenen sollte durch eine Kombination von Divination, Nekromantie und Katoptromantie hergestellt
     werden.
    »Colpriziana«, sprach Reynevan und malte mit dem Amulett Zeichen in die Luft über dem Kreidekreis. »Offina, Alta, Nestera,
     Fuaro, Menuet.«
    Der im Schatten verborgene Korybut bewegte sich unruhig. Die Zehe im Inneren des Kreises bewegte sich nicht.
    » Coniuro te, Spiritum humanum.
Ich beschwöre dich, Geist des Angus Deurg Feidlech alias Budrys Washgajtis! Komm herbei!«
    »Coniuro et adiuro te, Spiritum , requiro atque obtestor visibiliter praesentem.
Ich befehle dir bei Ezel, Salatyel und Yegrogamal!Theos Megale patyr, ymas heth heldya, hebeath heleotezygel!
Coniuro et adiuro te!«
    »
Bei Yemegas, Mengas und Hacaphagana, bei Haylos! Komm herbei, Geist! Komm von Osten, von Süden, von Westen oder von Norden!
     Ich beschwöre dich und befehle es dir! Komm herbei!
Ego te coniuro!«
    Die Oberfläche des Spiegels im Kreidekreis trübte sich, als hätte ein Unsichtbarer sie angehaucht. Im Spiegel erschien etwas,
     ein nebliges Bild, trüber Dampf. Vor den Augen des mehr als verdutzten Reynevan, der an das Gelingen des Unternehmens nicht
     recht hatte glauben wollen, nahm der Dampf die Konturen einer Gestalt an. Etwas Ähnliches wie ein Seufzen war zu hören. Ein
     tiefes, pfeifendes Seufzen. Reynevan beugte sich über das ›Enchiridion‹ und las die Beschwörungsformel laut vor, während er
     das Amulett über die Zeilen gleiten ließ. Die Wolke im Spiegel verdichtete sich. Und wurde immer größer. Reynevan hob die
     Hände.
    »Benedictus qui venis!«
    »Quare« ,
seufzte die Wolke mit leisem, pfeifendem Atem,
»inquietasti me?«
    »Erit nobis visio omnium sicut verba libri signati.
Im Namen des großen Tetragrammatons befehle ich dir, Geist, entsiegle das Buch der Geheimnisse und mache seine Worte für uns
     verständlich.«
    »Küss mir«, flüsterte der Geist, »meinen Astralhintern.«
    »Ich befehle dir zu sprechen.« Reynevan hob das Amulett und die Rute. »Ich befehle dir, dein Wort zu halten. Das Horoskop
     fertigzustellen, das Geschick der Geschlechter Mindaugas und Gedimins vorherzusagen, in Sonderheit
. . .
«
    »Das, was hier liegt«, der Geist aus dem Spiegel ließ ihn seinen Satz nicht vollenden, »ist das nicht zufällig meine große
     Zehe?«
    »Das ist sie.«
    Der aus dem Räucherwerk aufsteigende Rauch zuckte heftig und stieg spiralförmig nach oben. Die Oberfläche des Spiegels trübte
     sich.
    »Der fünfte Sohn seines Vaters«, sagte der Geist hastig, »nach deutschem und griechischem Ritus getauft, jedoch in seiner
     Seele ein Heide, träumt von einem Königreich, aber keineswegs vom himmlischen. Der Stern Sirius steigt am Himmel auf, um das
     zu verhindern, die versprochene Krone geht verloren, der feuerspeiende Drache, dessen Rücken mit Blut in Gestalt eines Kreuzes
     beträufelt ist, raubt sie.
O quam misericors est Deus justus et pius!
Dieser Drache kündigt den Tod an, und der Tag des Todes ist bekannt. Während des Pontifikats der Säule, im
anno penultimo,
am Tage der Venus und am
diluculum
dieses Tages.«
    »Sobald nach diesem Tode einhundertneunzehn Tage vergangen sind, stürzt die Säule und macht dem Wolf Platz. Im
anno quarto
des Pontifikats des Wolfes erscheint das Zeichen: Wenn die Sonne hinüberwechselt ins letzte Haus werden die Winde mit nie
     da gewesener Heftigkeit wehen, und Stürme werden unaufhörlich brausen, zehn Tage lang. Wenn nach diesen Ereignissen einhundertundzehn
     Tage vergangen sind, verlässt der siebte Sohn seines Vaters, ein König und Mächtiger, diese Welt. Römisch getauft, aber ein
     Heide in seiner Seele. Angelockt vom süßen Gesang der Nachtigall, wird er in einer kleinen Burg seinen Geist aushauchen, beim
gallicinium diei Martis,
ehe noch die Sonne aufgeht, die zu der Zeit
in signo Geminorum
steht.«
    »Und ich?« Korybut hielt es in seinem Winkel nicht mehr aus. »Was wird mit mir? Mein Horoskop! Mein Horoskop, das du mir

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