Lux perpetua
seelsorgerische Tätigkeiten während eines Überfalls auf Troppau gefangen genommen und zusammen mit all seinen
liturgischen Gewändern, Insignien und Paramenten entführt hatten.
Reynevan nahm an der hussitischen Messe teil. Scharley an keiner, der Ritus, so sagte er, stoße ihn schon lange ab, und das
Zelebrieren langweile ihn. Samson war zum Fluss gegangen, lange Zeit an dessen Ufer entlangspaziert und hatte den Himmel,
die Sträucher und die Enten betrachtet.
Auf der Karpfenwiese predigte Prokop der Große der Menge.
»Der Schreckenstag des Herrn wird heraufziehen!«, rief er. »Die Empörung des Höchsten und sein schrecklicher Zorn werden aus
der Erde eine Wüstenei machen und die Sünder von ihr hinwegfegen. Denn die Himmelssterne und der Orion werden ihr Licht nicht
mehr aussenden, die Sonne wird sich schon im Osten verdunkeln, und der Mond wird nicht mehr scheinen!«
»Und wenn ihr auch die Zahl eurer Gebete vervielfacht, sie werden nicht erhört«, rief Pater Kołatka von der Kanzel von St.
Bartholomäus herab. »Eure Hände sind voller Blut. Wascht sie ab, auf dass ihr rein werdet! Schafft mir eure bösen Taten aus
den Augen! Hört auf, Böses zu tun! Umgebt euch mit Gutem!Sorgt für Gerechtigkeit, helft den Unterdrückten, gebt den Waisen ihr Recht und steht auf, um die Witwen zu verteidigen! Wenn
eure Sünden auch rot wie Scharlach wären, sie würden so weiß werden wie Schnee; wären sie auch rot wie Purpur, sie würden
weiß werden wie die Wolle.«
»Der Herr«, donnerte Prokops Bassstimme über die Karpfenwiese, »wird seinen Zorn ausgießen über alle Heiden und seine Verachtung
über ihre Armeen! Er hat sie zur Vernichtung bestimmt, zum Abschlachten hat er sie freigegeben! Ihre Toten liegen verstreut
auf den Feldern, der Gestank der Leichen steigt empor; von ihrem Blut weichen die Berge auf!«
»Ihr Trachten ist verbrecherisch«, predigte Pater Kołatka mit ruhiger Stimme.»Verwüstung und Zerstörung folgen ihren Bahnen.
Sie kennen die Wege des Friedens nicht. Es gibt keine Gerechtigkeit in ihrem Tun. Sie selbst haben ihre Pfade krumm gemacht.
Deshalb ist das Recht fern von uns, und die Gerechtigkeit erreicht uns nicht. Wir haben auf das Licht gewartet, und nun ist
Dunkelheit; wir haben auf helle Strahlen gewartet, aber wir gehen im Dunkeln einher. Wie Blinde tasten wir uns an den Wänden
entlang, und ohne Augenlicht stolpern wir durch die Finsternis. Am hellen Mittag taumeln wir wie durch die Nacht, und kraftlos
sind wir wie die Toten.«
»Dein Licht ist gekommen.« Pater Kołatka streckte den Gläubigen im Kirchenschiff seine Hände entgegen. »Und die Glorie des
Herrn erstrahlt über dir. Wenn auch Finsternis die Erde bedeckt und undurchdringliches Dunkel die Völker umgibt, über dir
erstrahlt der Herr im Licht, und seine Glorie erscheint über dir. Und die Völker gehen zu Deinem Licht, die Könige zu den
Strahlen Deines Orients.«
Die Sonne lugte hinter den Wolken hervor, Licht ergoss sich über alle.
» Ite , missa est.«
Neuntes Kapitel
in dem Reynevans Loyalität auf seiner geheimen Mission in Schlesien sehr oft, jedoch auf höchst unterschiedliche Weise getestet
wird. Er selbst erträgt dies recht geduldig, im Gegensatz zu Samson Honig, der grollt und dies auch zum Ausdruck bringt.
Sie jagten übers Land, von dem der Frühling Besitz ergriffen hatte, sie jagten mit raumgreifenden Galoppsprüngen dahin, durch
Pfützen und Schlamm der aufgeweichten Wege.
Nachdem sie Grätz passiert hatten, stürmten sie durch Morawitz und erreichten Troppau, die Residenzstadt Przemkos, des Herzogs
aus dem Geschlecht der Přemysliden. Hier ritten sie langsamer, um nicht aufzufallen. Als sie die Stadt verließen, die sie
mit dem Angelusläuten verabschiedete, fiel Reynevan auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Teils war er von allein draufgekommen,
teils durch Scharleys beredte Blicke darauf gebracht worden. Eine Zeit lang überlegte er hin und her und zog in Betracht,
dass er sich womöglich irrte. Dann merkte er, dass dies nicht der Fall war. Dass er recht hatte. Irgendetwas stimmt nicht.
»Irgendwas stimmt nicht. Ist nicht so, wie es sein soll. Bedřich!«
»Hä?«
»Wir hätten durch Jägerndorf und Ziegenhals kommen müssen, das hat Prokop gesagt. Uns Richtung Nordwesten halten müssen. Wir
reiten aber nach Nordosten. Dies ist die Straße nach Ratibor.«
Bedřich ze Strážnice wendete sein Pferd und kam nah an ihn
Weitere Kostenlose Bücher