Lux perpetua
mit allen Menschenzungen, dennoch bin ich nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und ich heiße Samson.
Nenn mich also bei meinem Namen, Kommandant.«
Aus der Ferne sahen sie zwar schon die Mauern und die Türme von Ratibor, kamen zunächst aber, noch bevor sie die Vorstadt
erreichten, an einem Kirchlein, einem Friedhof und einem einen Hügel verzierenden Galgen vorüber. Am Querbalken schaukelten
ein paar Körper in verschiedenen Stadien der Verwesung im lauen Wind.
»Die hängen hier sogar in der Karwoche auf«, bemerkte Scharley. »Das heißt, es herrscht Bedarf. Das heißt, sie gehen auf die
Jagd.«
»Überall gehen sie jetzt auf die Jagd.« Bedřich zuckte mit den Achseln. »Nach dem Feldzug vom letzten Jahr sehen sie überall
Hussiten. Reine Angstpsychose.«
»Der Feldzug hat das Herzogtum Ratibor nicht mal gestreift«, bemerkte Reynevan. »Die haben die Hussiten doch gar nicht zu
Gesicht bekommen.«
»Hat jemand schon einmal den Teufel gesehen? Den fürchten doch auch alle.«
Sie ritten durch die rauchgeschwängerte Vorstadt, die von den Stimmen vieler Tiere und den mit den Mühen des Broterwerbs,
dem die Menschen nachgingen, verbundenen Tönen widerhallte. Am Nikolai-Tor saßen gut und gerne ein, zwei Dutzend Bettler,
unter deren Lumpen eitrige Stümpfe und Schwären hervorkamen.
Bedřich warf ihnen ein paar Kupferstücke hin, um den Schein zu wahren und zur Tarnung: Kamen sie doch als Kaufleute in die
Stadt, und bei Kaufleuten war es Sitte, Almosen, kleinere Gaben und Ähnliches zu geben.
»Hier trennen wir uns«, erklärte er, als sie das Areal vor dem Stadttor erreicht hatten und sich beim Dominikanerinnenkloster
befanden. »Ihr kennt Ratibor, glaube ich? Dies hier ist die Liebfrauengasse. Wenn ihr geradeaus weiterreitet, kommt ihr zum
Altstadtring und zur davon abzweigenden Odergasse, die zum Tor mit diesem Namen führt. Dort befindet sich eine Wirtschaft,
bekannt als die ›Mühlenwaage‹. Dort haltet ihr und wartet auf uns. Das heißt auf mich und auf Reynevan.«
»Ihr hingegen«, Scharley blinzelte, »strebt inzwischen zu einer anderen Adresse hin. Welche ist das, wenn es gestattet ist,
dies mitzuteilen?«
»Im Prinzip schon.« Bedřich verzog keine Miene. »Aber ist es der Mühe wert? Wenn irgendetwas nicht glattgeht, toi, toi, toi,
könnten sie euch nach dieser Adresse fragen. Da ist es sicherer, wenn euch die Unwissenheit schützt.«
»Gerade dann, wenn etwas nicht glattgeht, toi, toi, toi«, meinte der Demerit gelassen, »wird es vielleicht notwendigsein, eure Ärsche zu retten. Dann könnte es sich hilfreich erweisen. Nur so, wegen der Unwissenheit.«
Der Prediger schwieg eine Weile und biss sich auf die Lippen.
»Am Marktplatz«, sagte er dann, »an der Ostseite, Ecke Lange Gasse. Das Haus ›Zur Goldenen Krone‹.«
Ein Irrtum war ausgeschlossen, das Haus an der Ostseite des Marktplatzes, Ecke Lange Gasse, war an der Stirnseite mit einem
ausladenden Relief geschmückt, das eine goldene Krone umgeben von floralen Ornamenten aufwies. Die unter dem überdachten Gang
verborgene Tür gemahnte an das Tor einer Festung, man musste genauso lange klopfen, bis sich endlich etwas bewegte. Bedřich
hämmerte mit der Faust dagegen und fluchte leise. Reynevan schaute sich um und versuchte mögliche Verfolger auszumachen. Endlich
wurde ihnen geöffnet, sie wurden angehört, weitergeleitet, ins Innere geführt. Reynevan seufzte vor lauter Staunen. Das Innere
des Gemachs, in dem sie sich befanden, sah ganz genauso aus wie jenes in Breslau, in dem er das Depositum von Otto Beess entgegengenommen
hatte, ununterscheidbar fast bis ins kleinste Detail, darunter die Möbel aus Danzig, der Kamin und die große Landkarte an
der gegenüberliegenden Wand. Der sich in diesem vertrauten Gemach aufhaltende Faktor sah ebenfalls genauso aus. Kein Wunder,
es war derselbe.
»Ich begrüße die Herren in der schönen und reichen Stadt Ratibor.« Der hinter dem Tisch sitzende Faktor des Handelshauses
der Fugger erhob sich und bedeutete ihnen, sich zu setzen. »Herr Bedřich ze Strážnice, nehme ich an?«
»In der Tat«, bestätigte der Prediger. »Und dies hier ist
. . .
«
»Reinmar von Bielau alias Hagenau«, unterbrach ihn der Faktor lächelnd. »Ich hatte bereits das Vergnügen. Ich freue mich,
Euch zu sehen, ich freue mich, zu sehen, dass Ihr die zahlreichen Schwierigkeiten heil überstanden habt, in denen Ihr noch
vor kurzem stecktet. Euch
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