Lux perpetua
willst, was ich tue. An meiner Seite. Möchtest du das immernoch? Hast du deine Meinung nicht geändert? Bist du dazu bereit?«
Sie nickte. Langsam.
»Wenn du damit anfängst, gibt es kein Zurück. Bist du dir darüber im Klaren?«
Sie nickte wieder. Der Mauerläufer stand auf.
»Zieh das an.«
Nach einer Weile stand sie vor ihm, in Strumpfhosen und hohen Stiefeln, und einen Hacqueton aus Pikee tragend. Er half ihr,
das Kettenhemd, die Platten des Brust- und des Rückenpanzers, die Armschienen und den Rest der Rüstung anzulegen. Ein schwarzes
Band in die Haare zu binden. Einen schwarzen Mantel mit Kapuze umzulegen.
»Ein Schwert?«
»Ich will lieber eine Lanze.«
»Trink das aus. Alles. Sprich mir nach:
Adsumus , Domine , adsumus peccati quidem immanitate detenti . . .«
»Komm zu uns, verweile unter uns, durchdringe unsere Herzen
. . .
«
»Amen. Lass uns gehen.«
»Was war das
. . .
Das, was ich getrunken habe?«
»Ein Narkotikum.«
»Nicht gerade lecker.«
»Du gewöhnst dich daran. Lass uns gehen. Ach, eines noch. Sag mir
. . .
«
Sie hob den Kopf. Und die Augen. Von der Farbe eines Bergsees. Schön. Bezaubernd. Und durch und durch unmenschlich.
»Wie heißt du eigentlich mit Vornamen?«, fragte der Mauerläufer, jedes Wort betonend.
Dzierżka de Wirsing wusste nicht, was sie geweckt hatte. Es war nicht das Hundegebell; die Hunde, vielleicht durch heranschleichende
Waldtiere in Unruhe versetzt, bellten auf Schalkau die ganze Nacht. Ihr Bellen störte einen nur beim Einschlafen,dann gewöhnte man sich daran, und die warnende Bedeutung verlor sich, es wurde für das Ohr etwas ganz Gewöhnliches. Wahrscheinlich
war es ein Albtraum, ein schlimmer Angsttraum, der Dzierżka plötzlich hochschrecken und aufrecht im Bett sitzen ließ, angespannt,
hellwach und bereit zu handeln. Bestimmt war jetzt genau das eingetreten, was sie die letzten vier Jahre befürchtet hatte.
Die Hunde bellten nicht.
»Elencia! Wach auf! Und zieh dich an!«
»Was ist los?«
»Steh auf! Rasch!«
Die in den Ohren schmerzende unnatürliche Stille zerbarst plötzlich, zerstört durch den vom Hofe her dringenden Schrei eines
Menschen, der ermordet wird. Diesem Schrei folgten fast unmittelbar andere. Von einem Augenblick zum anderen gellten Schreie
und Hufgetrappel durch das ganze Schalkauer Gehöft. Und hinter den Fensterscheiben züngelten Flammen.
»Elencia! Hierher! Hier entlang!«
Dzierżka schob eine Truhe beiseite, riss ein Auerochsenfell von der Wand und öffnete die dahinter verborgene Tür. Hinter der
kleinen Tür roch es nach Moder und Kälte.
»Frau Dzierżka!«
»Schnell, wir haben keine Zeit! Der Gang führt dich zum Bach. Versteck dich dort und komm nicht heraus, bevor nicht
. . .
Bevor nicht alles vorbei ist. Schnell, Mädchen!«
»Und du? Ich lasse dich nicht im Stich!«
»In den Geheimgang! Sofort! Wage es ja nicht, ungehorsam zu sein! Geh, Kind, geh!«
Sie schloss das Türchen und verbarg es wieder hinter dem Fell und der Truhe.
Von der Wand im Vorraum riss sie einen Wurfspieß. Und stürzte Richtung Hof.
Sie konnte nichts sehen außer dem Flackern der funkenstiebenden Fackeln. Fast noch auf der Schwelle, rannte ein durchgegangenes
Pferd sie um, sie fiel mit einer Gewalt zu Boden,die ihr fast den Atem raubte. Die Hufeisen trommelten dicht neben ihr auf den Boden und drohten, sie zu zermalmen. Sie hatte
keine Kraft, sich zu bewegen. Jemand packte sie und zerrte sie fort. Sie erkannte ihn. Sobek Snorrbein.
»Herrin
. . .
Rette dich
. . .
«
Mehr konnte Sobek Snorrbein nicht sagen. Er stöhnte, fiel auf die Knie, ein Blutstrom entquoll seinem Mund. Dzierżka erblickte
eine Lanzenspitze, die aus seiner Brust ragte. Dicht daneben jagte ein Pferd vorbei, undeutlich wie ein schwarzer Nachtvogel,
sie hörte das boshafte Kichern eines Mädchens. Und einen Ruf.
»Adsumus ! Adsumuuus!«
Um sie herum war wieder das Dröhnen von Pferdehufen, es wimmelte nur so von Reitern. Von schwarzen Reitern.
»Adsumuuus!«
Geradewegs auf sie zu rannte mit ausgestreckten Armen eine Frau im Nachthemd. Vor Dzierżkas Augen spaltete ein schwarzer Reiter
ihr mit einem Schwert den Schädel. Dzierżka sprang auf, aber sie wurde wieder umgestoßen und fiel hin. Eine Wurfschlinge riss
sie empor, Hände in Eisenhandschuhen. Sie hing zwischen zwei Pferden. Ein Dritter drang auf sie ein.
»Wo ist das Mädchen?«
Dzierżka spuckte aus. Etwas pfiff durch die Luft, in seinen Augen blitzte es auf. Sie
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